Rom ist kein Gegner

Bischof Bätzing über Kirche, Theologie und Welt

Deutschlands Katholizismus verstehen, das ist eine bleibende Herausforderung. Religionssoziologen etwa registrieren, dass die Kirche über einen machtvollen Apparat und eine stattliche Anzahl von Funktionären verfügt – vom sogenannten „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“, das von sich behauptet, die Laien in der Kirche zu vertreten, bis hin zu allen möglichen Räten und Verbänden in den Diözesen. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, plaudert aus seinem katholischen Leben und gibt staunenswerte Einblicke in seine persönliche Sichtweise von Kirche und Welt heute.

Georg Bätzing wollte leidenschaftlich und von Kindheit an Priester werden. Ein wenig „verschämt“ sei er, wenn er jungen Menschen auf die Frage nach seiner Berufung antworte, er habe „nie etwas anders werden wollen“ als ein Geistlicher. Nur warum äußert er sich „verschämt“? Auch heute muss sich niemand dafür schämen – mit den Worten des Glaubens gesagt – einer Berufung für ein geistliches Amt zu folgen, im Gegenteil. Der Limburger Bischof, der sich als traditionsverbundener Kirchenreformer begreift, betont, wie wichtig ihm die Feier der Eucharistie ist, stellt aber sodann fest: „Aber ich lebe aus dieser Form der Christusbegegnung, die immer wieder neu greift – wohl wissend, dass sie zurzeit in einer ganz erheblichen Krise ist.“ Was genau, fragt sich der Leser, steckt denn in einer „Krise“? Die Feier der heiligen Messe? Die „Christusbegegnung“? Die Kirche an sich? Oder einfach nur der Satz, der möglicherweise noch einmal sorgsam hätte bedacht werden müssen?

Freimütig äußert sich Bischof Bätzing über das prägende Vorbild Hans Urs von Balthasar, der ein einflussreicher Theologe, Sprachkünstler und Gelehrter war. Über dessen Werk schrieb der junge Theologe seine Diplomarbeit. Heute stünde, so ist Bätzing überzeugt, Balthasar auf der Seite der Reformkatholiken, wäre somit ein Streiter für eine Erneuerung der Kirche nach den Maßgaben zeitgenössischer Sozialwissenschaften. Die Kirche, verstanden als Stiftung Jesu Christi, behält das Priesteramt Männern vor, entsprechend dem Willen des Stifters und der verbindlich gültigen Lehre der Kirche. Wer weltlich gesinnt und geprägt ist – und nicht wenige Katholiken sind dies heute –, sieht darin eine Diskriminierung von Frauen. Bätzing ist der Auffassung, dass Hans Urs von Balthasar seine Ämtertheologie heute ganz anders entfalten würde und entgegnet seinen Kritikern selbstbewusst: „Was denkt ihr denn? Wenn dieser Mann heute noch leben würde, hätten er und seine Theologie sich doch ganz bestimmt auch weiterentwickelt. Gerade er hat sich doch immer der Gegenwart mit ihren Fragen gestellt. Insofern fühle ich mich bis heute nachhaltig von ihm geprägt. Ich bin sehr dankbar, diesem Menschen begegnet zu sein – gerade auch in seiner Autonomie.“ Ob aber eine solche Weiterentwicklung, verstanden als geschmeidige Anpassung an den Zeitgeist oder als blinde Übernahme umstrittener Wissenschaftsmeinungen, tatsächlich im Sinne des Theologen gewesen wäre? Bätzing verweist hartnäckig darauf, von Balthasar geprägt zu sein, auch wenn er dessen Theologie wie einen Steinbruch nutzt und wesentliche Aussagen ins Gegenteil verkehrt – was auch die energischen Distanzierungen des Verlages, in dem Balthasars Schriften erscheinen, deutlich machen. Es handelt sich bei Bischof Bätzings Statement vermutlich um eine sehr autonome Interpretation, subjektiv koloriert und theologisch-wissenschaftlich nicht belegbar.

Das aufschlussreiche Gesprächsbuch enthält weitere Bekenntnisse, möglicherweise auch notwendige Abgrenzungen. Immer wieder sah sich der Limburger Oberhirte damit konfrontiert, dass der sogenannte deutsche Synodale Weg – ein abseits vom gläubigen Volk geführter, mehrjähriger Dialogprozess von Bischöfen und Laien, die hauptsächlich vom „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ benannt wurden – zu einer neuen protestantischen Kirche führen könnte. Bätzing verweist auf eine Aussage von Papst Franziskus: „Es gebe schon eine gute evangelische Kirche in Deutschland, man brauche keine zweite. Damit wollte er andeuten, dass das, was wir beim Synodalen Weg tun, eine Annäherung an die evangelische Kirche sei. Aber genau das wollte bei den zentralen Fragen niemand in der Synodalversammlung. Die Gläubigen wollen die evangelische Kirche nicht kopieren – und ich auch nicht.“ Das dürfte stimmen, wenngleich sich Außenstehenden, Andersgläubigen ebenso wenig wie den meisten Katholiken in Deutschland und anderswo erschlossen hat, warum eine solche Veranstaltung über viele Jahre, von 2019 bis 2023, aus Kirchensteuermitteln finanziert wurde. Dieses Projekt der Reformkatholiken sollte, so Bätzing, ausdrücklich „kein Sonderweg“ sein, also kein Abschied aus der Gemeinschaft der Weltkirche. Entschieden wirbt der Bischof für den Zugang von Frauen zu sakramentalen Ämtern und ist auch davon überzeugt, dass die Kirche auf der ganzen Welt von Deutschland lernen kann. Der Limburger Bischof lobt die Demokratie und die Diskussionen in ihr und sagt unbestimmt über die Lebenswirklichkeit der Kirchenprovinz Deutschland heute: „Die Argumente zählen, und es wird nicht mehr autoritär entschieden.“ Zugleich legt er das Limburger Modell der Entscheidungsfindung dar, das sicherlich vergleichbar ist mit den Arbeitsweisen in anderen deutschen Behörden. Bätzing erläutert das Verfahren: „Wenn Entscheidungen, die für das gesamte Bistum relevant sind, getroffen werden müssen, gibt es einen klaren Beratungsweg. Dieser beginnt im Bistumsteam nach den Vorarbeiten in der Kurie des Bischofs. Das Bistumsteam setzt sich aus zentralen und dezentralen Verantwortlichen zusammen. Da findet eine gründliche Beratung statt. Daraufhin geht der Weg über den Seelsorgerat, in dem der Priesterrat integriert ist, und findet seinen Abschluss in dem obersten Beratungsgremium des Bischofs, im Diözesansynodalrat.“ Wenn Bischof Bätzing mit diesem Geflecht von Verwaltungsprozessen das Feuer der Evangelisierung entfachen möchte, so dürften alle Leser ihm viel Glück dabei wünschen und doch skeptisch bleiben. Oder beleben die Kontroversen mit Rom, dem Papst und der Kurie, die Kirche in Deutschland – selbst wenn Bätzing jeden grundlegenden Dissens mit dem Vatikan bestreitet? Persönlich etwa lehnt er die Generalaudienzen des Papstes ab und bezeichnet sie als „Spektakel“. Doch spektakulär sind die Glaubensunterweisungen auf dem Petersplatz nicht, wenn Papst Franziskus Pilger aus aller Welt empfängt.

Bätzing tut seine Meinung kund: „Rom ist kein Gegner. Rom ist mehr wie Familie, in der es natürlich auch immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt.“ Erhellend ist auch seine Bemerkung, wie Schreiben aus Rom, etwa vom Papst, von vielen deutschen Bischöfen gelesen werden. Franziskus etwa schrieb 2019 einen Brief über Neuevangelisierung an das Volk Gottes in Deutschland: „Wir sind mit dem Schreiben umgegangen, wie es üblich ist mit römischen Schreiben, bei denen man zunächst die Punkte sucht, die einen selbst bestätigen. Da findet der eine das und der andere genau das Gegenteil. So darf man auch mit römischen Schreiben umgehen.“ Im Nachhinein bedauert Bischof Bätzing, dass er zumindest diesen Brief nicht so ernst genommen hat, wie es dieser verdient gehabt hätte. Zugleich aber gesteht er zu, dass die Post aus Rom eher wahrgenommen, als bedacht und beherzigt würde. Muss er verwundert sein, wenn Kurienmitarbeiter deutschen Ideen mit Vorbehalten begegnen?

Wer sich über die Lage der katholischen Kirche in Deutschland heute informieren möchte, wird vielleicht Georg Bätzings neues Buch lesen und sich im Anschluss fragen: Warum wird in diesem freudlosen Band von einem prominenten deutschen Bischof über so vieles so engagiert geredet, nicht aber über Gott und die Freude am Glauben?

Rom ist kein Gegner
Rom ist kein Gegner
Warum die Kirche Reformen braucht
128 Seiten, gebunden
Herder 2024
EAN 978-3451102714

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