Daniel Defoe: Robinson Crusoe

Der Mann, der Robinson Crusoe wurde

Daniel Defoe, 1660 in London geboren, verdiente sein Geld als besserer Leichenfledderer. Der wenig beschäftigte Journalist, dessen Texte von den Feuilletons verschmäht wurden, ließ sich von Menschen, die nur noch kurze Zeit zu leben hatten, ihre Lebensgeschichten diktieren. Meist waren es zum Tode verurteilte Verbrecher, die dem schnöden Diesseits ihre Memoiren überlassen und den Übergang ins Jenseits mit einer Beichte positiv gestalten wollten. Die Bekenntnisse verkaufte Defoe nach der Hinrichtung an sensationslüsterne Zeitungsleser. Bis er die Geschichte eines Todgeweihten las, der sein Abenteuer überlebte: Alexander Selkirk gab das Vorbild für Defoes Romanhelden Robinson Crusoe ab.

Am 1. Februar 1709 sichtete ein englisches Schiff, unterwegs im Südpazifik, auf der unbewohnten Insel Más a Tierra ein Feuer. Kapitän Woodes Rogers kam dies, 324 Seemeilen, rund 600 Kilometer, abseits der chilenischen, damals zur iberischen Kolonialmacht gehörenden Küste, nun ja, spanisch vor. Er sandte ein Erkundungsboot aus.

"Wenig später", so Rogers in seinem Bericht, "kehrte unsere Jolle vom Land zurück. Sie führten eine Unmenge Krebse mit sich und dazu einen Mann, in Ziegenfell gekleidet, der wilder aussah, als diejenigen, welche die Felle zuerst auf dem Leib hatten."

"Wenig später", so Rogers in seinem Bericht, "kehrte unsere Jolle vom Land zurück. Sie führten eine Unmenge Krebse mit sich und dazu einen Mann, in Ziegenfell gekleidet, der wilder aussah, als diejenigen, welche die Felle zuerst auf dem Leib hatten." Wie sich herausstellte, hatte der vermeintliche Schiffbrüchige es weder einem Unglück noch einem Untergang und auch sonst keinem widrigen Zufall zu verdanken, dass er die letzten vier Jahre und vier Monate auf Más a Tierra verbracht hatte. Nein, das Abenteuer auf Más a Tierra folgte einem mehr oder weniger sorgfältig ausgearbeiteten Plan.

Selkirk, geboren 1776 in Lower Largo in der schottischen Grafschaft Fife, auf der Edinburgh gegenüberliegenden Seite des Firth of Forth, war bereits früh zur See gefahren. Die meisten Quellen bezeichnen ihn als Matrosen, doch muss seine seemännische Karriere in einem höheren Rang geendet haben. Tatsächlich war Selkirk auf dem kleinen, aber trinkwasserreichen und damit fruchtbaren Eiland ausgesetzt worden.

Kapitän Rogers erzählte später von einer Reihe nautischer Instrumente, die neben Schiffswerkzeugen bei Selkirk gefunden wurden. Der Einsiedler hatte also schon vor Beginn seines Inselaufenthalts den Bau eines Bootes in Erwägung gezogen. Einem unfreiwillig ausgesetzten Delinquenten hätte man weder Werkzeug noch Instrumente dagelassen.

Die These vom nautisch beschlagenen Seemann Selkirk unterstützt der Archäologe David Caldwell. Der Mitarbeiter des Scottish National Museum gehörte einem Team an, das auf Más a Tierra nach Überresten von Selkirks Aufenthalt grub. Letzte Zweifel beseitigte der Fund eines Stechzirkels: Mit diesem Hilfsmittel lassen sich die Abstände auf Seekarten bemessen. Also müssen Selkirk auch letztere zur Verfügung gestanden haben - ein Zugeständnis, das man einem straffällig Gewordenen nie gemacht hätte.

1719 veröffentlichte Defoe seinen Roman, welcher der bis heute meistübersetzte in fremde Sprachen werden sollte.

Selkirks eigene Darstellung, er habe sich nach einem Disput mit seinem Kapitän über die Fahrtüchtigkeit ihres Schiffs freiwillig auf der Insel aussetzen lassen, stimmt vermutlich. 1719 veröffentlichte Defoe seinen Roman, welcher der bis heute meistübersetzte in fremde Sprachen werden sollte. Im wahren Leben scheint Defoe seinem wahren Helden nicht begegnet zu sein.

Selkirk kehrte zweieinhalb Jahre nach seiner Entdeckung in seinen Heimatort zurück. Doch fand er sich dort nicht mehr zurecht. Erneut folgten wilde Jahre, geprägt von Suff, Leidenschaften - die in zwei Heiraten resultierten - und einem Beinahe-Totschlag. Schließlich fuhr Selkirk wieder zur See, versuchte sich nacheinander als Pirat und Piratenjäger und starb am 13. Dezember 1721 vor Afrikas Westküste an Gelbfieber.

Danach geriet Selkirk in Vergessenheit, aber nicht auf ewig. Längst trägt seine Insel den Namen Isla Robinsón Crusoe. Und auch der 1. Februar, der Tag, an dem Selkirk gefunden wurde, wird als Robinson-Crusoe-Tag begangen. All dies ist Daniel Defoe geschuldet, dem Journalisten und Autor, der sich, wenn auch sehr spät, seiner Tugenden besann.

Daniel Defoe war bereits 59 Jahre alt, als er Selkirks Geschichte zu Papier brachte. Mit Robinson Crusoe hatte Defoe endlich berufliches Fortune. Eingedenk der recht langsamen Kommunikationsmittel des frühen 18. Jahrhunderts lässt sich sogar die Formel bemühen, dass Defoe über Nacht berühmt wurde. Und der Ruhm hielt an, bis heute.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts erschienen nicht weniger als 700 verschiedene Ausgaben von Robinson Crusoe, darunter Kinderbücher und reine Bildergeschichten ohne Text. Und natürlich internationale Editionen, manche sehr exotisch: Die Lebensbeichte des unfreiwilligen Eremiten wurde bereits vor über hundert Jahren in so verbreitete Sprachen wie Koptisch, Maltesisch und Inuit übersetzt. Am 26. April 1731 starb Daniel Defoe in seiner Heimatstadt London.

Wer den Welterfolg (noch)mal lesen möchte, dem sei diese besonders schöne Ausgabe empfohlen.

Robinson Crusoe
Rudolf Mast (Übersetzung)
Robinson Crusoe
416 Seiten, gebunden
Originalsprache: Englisch
mareverlag 2019
EAN 978-3866482913

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