Die Rheinromantik und ihr literarischer Niederschlag
Noch mehr als 200 Jahre nach seinem Beginn hat sich das Phänomen der Rheinromantik nicht erübrigt, im Gegenteil: Mit der Anerkennung des oberen Teils des Mittelrheintals als Welterbe hat es sogar noch eine Steigerung, um nicht zu sagen die höchsten Weihen erfahren. Mag man über Ursachen und Wirkungen denken, wie man will, so steht doch außer Frage, dass dieser Titel gleichsam den Kulminationspunkt einer Entwicklung darstellt, die nicht nur wegen ihrer langen Tradition noch der fundierten Erforschung bedarf.
Insofern ist es sehr erfreulich, dass sich das aus dem Zusammenschluss von Pfälzischer Landesbibliothek Speyer, der Bipontina Zweibrücken und der Rheinischen Landesbibliothek Koblenz hervorgegangene Landesbibliothekszentrum mit Sitz in Koblenz im ersten Band seiner Schriftenreihe der Aufgabe angenommen hat, genau dieser Tradition bzw. ihrem literarischen Niederschlag nachzuspüren. Mit Irene Haberland konnte dafür eine Autorin gewonnen werden, die nach ihrer Dissertation von 1989 über "Jonathan Richardsons Anleitung zur Kunstkennerschaft" (im Druck mit leicht verändertem Titel, erschienen 1991) als Kunsthistorikerin sowohl der Koblenzer Bibliothek als auch dem Thema Rheinromantik eng verbunden ist.
Das opulent ausgestattete und durchgehend farbig gedruckte Werk mit insgesamt 157 Seiten präsentiert dem Leser eine nach Sprache und danach chronologisch gegliederte Auswahl von Werken mit Publikationsdatum vom 17. bis Ende des 19. Jahrhunderts - allerdings, und dies ist eine schmerzliche Einschränkung des einen größeren Rahmen suggerierenden Titels, mit stringenter Beschränkung auf das Mittelrheintal und damit auf den Wirkungs- und Sammelbereich der Rheinischen Landesbibliothek Koblenz. Mit der rheinischen Pfalz und damit indirekt der hierarchisch subordinierten Pfälzischen Landesbibliothek Speyer bleibt der südliche Landesteil von Rheinland-Pfalz unberücksichtigt, was thematisch ohnehin und mit Blick auf das doch verbindend gemeinte "Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz" als wenig charmanter Zug erscheint. So hat es zweifellos auch eine - wenn auch bisher völlig unzureichend erforschte - "Pfalzromantik" gegeben, die ihren Niederschlag eben auch in nicht wenigen Pfalzbeschreibungen des 19. Jahrhunderts gefunden hat, wobei insbesondere das in drei Auflagen (1840, um 1855 und 1857) erschienene, mit zuletzt 60 sehr schönen Stahlstichen ausgestattete Buch von Franz Weiß "Die malerische und romantische (Rhein-)Pfalz" zu denken wäre.
Abgesehen von diesem methodisch-thematischen Lapsus vermag die Auswahl der dargebotenen Bildwerke durchaus zu überzeugen, die den reichen Bestand der Rheinischen Landesbibliothek mit ihren Sammlungen eindrucksvoll vor Augen führt. Jedes Werk wird eingehend bibliographisch sauber zitiert und neben der Signatur des Koblenzer Bibliotheksstandortes mit knappen Literaturangaben versehen, so dass eine Einsichtnahme durch das interessierte Lesepublikum vor Ort problemlos möglich (und empfohlen) ist. Zahlreiche, sehr schön reproduzierte Abbildungen veranschaulichen den jeweiligen Charakter des auf zwischen zwei und vier Seiten vorgestellten Buchs und regen zur eigenen Lektüre an.
Ein großes Manko allerdings, das u.a. Historiker oder auch Bauforscher sehr stören muss, darf nicht verschwiegen werden: Die Autorin vermag ihre Herkunft als Kunsthistorikerin nicht zu verleugnen, was zu teils fatalen inhaltlichen Fehlern auch methodischer Art geführt hat. So mag man es (als Nicht-Rüdesheimer) noch hinnehmen, dass sie das Welterbe Mittelrhein in Bingen enden lässt (S. 16), doch ist es wenig zuträglich, dass offensichtliche Fehlbezeichnungen von Städten oder Burgen in der Druckgraphik übernommen werden, ohne dem Lesepublikum zur richtigen Einsicht zu verhelfen (u.a. Burg Fürstenberg und Bacharach statt Burg Stahleck und Bacharach, S. 25; Schloss Ollbrück statt Burg Olbrück, S. 94; Ehrenbreitstein statt Burg- und Festungsruine Rheinfels, S. 133; Niederfell statt Oberburg Gondorf, S. 138; Fürstenberg statt Burg Sooneck, S. 139). Auch die überaus nötige Kritik der Motivdarstellung, d.h. die Erörterung der Frage, inwieweit eine Druckgraphik mit dem früheren oder heutigen Bauzustand eines dargestellten Motivs übereinstimmt, ist kaum oder überhaupt nicht vorhanden, sondern wird konsequent und stillschweigend unterlassen (z.B. Burg Lahneck, S. 22). Hinzu gesellen sich ganz banale Unzulänglichkeiten wie das nur teilweise Auflösen von Autoren- und Künstlervornamen. Auch hätte sich der kundige Leser gewünscht, dass beispielsweise bei dem angeblich von Petrus Schenck (gemeint ist Petrus oder Pieter Schenk, 1660-1718), tatsächlich aber unter dem Namen von Johannes von Call publizierten und nicht Herzog Friedrich von Sachsen, sondern in der Tat Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen gewidmeten Werk nicht nur ein, sondern alle vier (!) Teile mit insgesamt 71 Kupferstichen angeführt worden wären. Derlei Unzulänglichkeiten finden sich bedauerlicherweise nicht selten, sondern mit irritierender Häufigkeit, so dass sich ein ungetrübtes Lesevergnügen bei näherem Hinsehen nicht einstellen mag.
Trotz dieser Einschränkungen soll betont werden, dass "Zwischen Kunst und Kommerz" eine sehr anregende und insbesondere wegen des sehr schönen Abbildungsmaterials eine uneingeschränkt zu empfehlende Lektüre darstellt und dies zudem zu einem sehr moderaten Preis. Die angesprochenen Mängel regen zur Einsichtnahme und Überprüfung an und sollten für eine zweite Auflage ein Anreiz zur Verbesserung sein. Das Thema Rhein- wie auch Pfalzromantik und sein literarischer Niederschlag verdienen ohne jeden Zweifel noch weitere gehaltvolle Studien.
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