Melodien des Lebens
Afrikaans und Deutsch sind vielleicht nicht nah, aber doch von ferne miteinander verwandt. So zeigt die Schönheit der Sprache, sanft musikalisch und klangvoll, akzentreich und nuanciert, Berührungspunkte zwischen fernen Ländern und inneren Erfahrungen, von denen Ilse van Staden in ihrem zweisprachigen Gedichtband berichtet.
Quastenflosser sind urzeitliche Meerestiere, und die Dichterin träumt davon, wie es wäre, wenn „wieder fische durch meinen garten schwimmen könnten“. Der Leser denkt an Heraklit, den vorsokratischen Philosophen, der über das Fließen von Welt, Zeit, Sinn und Leben nachdachte, freilich stilisiert zu einem tiefgründigen Denker und von nachfolgenden Generationen oft verklärt wurde: Alles fließt – durch den Garten der Dichterin, durch Sinne und Gemüt des Lesers, durch die Weite der menschlichen Fantasie. Und „alles geht eine ewigkeit zurück“, schreibt van Staden, und das lyrische Ich hält Rückschau, so wie die „alten, alten philosophen“ – auf Afrikaans übrigens „filosowe“ genannt –, „nach vorn in die vergangenheit und über meinen rücken / brechen die wellen von morgen, übermorgen, anderen jahren“. Was sehnsüchtig und gedankenvoll anmutet, steht im Schatten der Endlichkeit, denn wie die Quastenflosser, Fische mit Skelett, so sieht sie auch in der Zukunft das, was von ihr selbst bleiben wird, so wie „knochen anderer veralteter tiere“. Schwermut und Realismus sind eingezeichnet in diese Verse, Träumereien aber bleiben erlaubt, in leiser Dankbarkeit für das Meeresrauschen und die Wellen von gestern, heute und morgen. Der Leser mag sich auch selbst spiegeln in diesen Versen, seine eigene Anschauung, seine Aussichten, seine Wünsche und Träume, die ihn ans Meer führen und zugleich an die Gestade der Vergänglichkeit. Auch diese Denk-, Lebens- und Liebesräume verschließt die Dichterin nicht, sie weist aber, leise und ernst, auf die Endlichkeit hin. Der Quastenflosser indessen verblieb „in der dunkelheit“ und hatte sich in „das dahintreiben“ verliebt, „im sicheren wohlbehagen / des urzeitlichen brodelns“.
Van Staden schreibt vom Segeln durch die silberne Flut, mit dem „traumschiff“ oder der „sprachflotte“, mit all den Dingen an Bord, die sich angesammelt haben, auf der Reise durch das Leben oder in ferne Länder, die „knochenweißen wörter“. Jeder könne den „haken“ auswerfen, um den „traumfisch“ zu fangen, aber nicht mit Ehrgeiz, sondern „mit fried und gemach“. Segelnd gleiten wir über die Wellen, weit hinaus, zurück in die Erinnerungen, in jede Gegenwart neu hinein und in das Morgen hinaus, bevor sich in der „landschaft der stille“ der Abschied über die müden Augen legt. Doch zunächst bleibt ein „winterleichtwindblauerhimmel“ oder, auf Afrikaans, „winterligtewindbloulug“, vor dem wir mit den Wolken reisen dürfen, weit hinaus und doch verwurzelt im Garten des eigenen Lebens, und nicht nur alles, was lebt, musiziert, ein Vogelschwarm oder eine schnurrende Katze, sondern auch die Dinge, ein zischender Wasserkocher oder tickende Wanduhren. Die Dichterin wiederum hat die Vergänglichkeit vor Augen: „ein leises summen, ein leiser jammer / die dämmerung sickert in die kammer“. Sie meditiert über das Sterben, ein Wort, das „wie ein atem wie / morgennebel über einen fluss“ stimmlos dahingleitet und eine „unsentimentale tätigkeit“ beschreibt. Das Sterben, heute noch da und morgen fort, vielleicht anderswo, das Unfassbare bezeichnet van Staden als „realität“, so sei die „akte“ des Lebens geschlossen, von einem Tag, ja von einem Augenblick auf den anderen, und „die erinnerung an dich auf dem papier durchgestrichen“. Hoffnungslose Nüchternheit? Was auf dem Papier festgehalten ist, wird mit dem Papier vergehen. Ein poetisches Fazit? Ilse van Staden öffnet auch Räume der Melancholie, die die Leserschaft betreten und auch wieder verlassen darf. Die Sprache, die bleibt, erinnert an eine Melodie des leichten, ernsten und frischen Seewindes, an lichte Tage inmitten aller Endlichkeit, an Träume, die geknüpft sind an Menschen, denen wir begegnet sind und die wir lieben durften und dürfen, auch wenn wir sie nicht festhalten können.
Ilse van Staden schreibt nicht leichtgewichtig, nicht schwerelos, nicht schwebend, dazu sind ihre Gedichte viel zu ernst – aber hoffnungslos sind sie nicht. Hoffnungslos mögen auch alle Leser nicht sein, die sich diesen kunstvoll gewebten, zärtlichen Gedichten mit Sympathie annähern.
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