Das Geheimnis des entfremdeten Professors
Pål Andersen, die 55-jährige Hauptfigur in Dag Solstads Roman "Professor Andersens Nacht", hat es sich bequem gemacht in seinem Leben. Als Professor für Literatur muss er sich in finanzieller Hinsicht keine Sorgen machen, zumal er weder Frau noch Kind zu versorgen hat und alleine lebt. An Weihnachten - hier beginnt die Handlung - frönt er, in seiner Osloer Wohnung, nichtsdestotrotz den typischen gesellschaftlichen Ritualen: Er zieht sich festlich an, kocht sich ein traditionelles Weihnachtsmahl, isst und erfreut sich am Weihnachtsbaum mit den brennenden Kerzen.
Doch dann geschieht etwas, das diese Einsamkeits-Idylle im Nu zerstört. Der Professor wird Zeuge, wie ein fremder Mann eine fremde Frau umbringt, sie erdrosselt, hinter einem Fenster auf der anderen Strassenseite. Wenig später hat Andersen das Telefon in der Hand - und dann geschieht das Unglaubliche: Er legt wieder auf. Und auch später meldet er das Verbrechen nicht der Polizei, der Mord bleibt sein Geheimnis.
Tiefer und tiefer in die Sinnkrise
Das allerdings war keine Absicht. Er habe es einfach nicht können, sagt sich Andersen später. Ein Erkenntnisprozess kommt in Gang, in welchem dem Professor nach und nach bewusst wird, dass er sich längst von der Gesellschaft entfremdet hat. So ist auch sein Nichtmelden des Mordes zu interpretieren, das für andere eine Selbstverständlichkeit, ja eine Pflicht gewesen wäre. Dag Solstad hätte kaum eine andere unterlassene Handlung finden können, die Andersens Entfremdung von der Gesellschaft deutlicher widergespiegelt hätte.
Schon am nächsten Tag geht der Professor zu alten Freunden - und isst mit ihnen zu Abend. Einst floss noch Rebellenblut in ihren Adern, nun sind sie bequem geworden, die verbürgerlichten Altlinken sind zur Stützpfeilern der Gesellschaft verkommen. Im Verlauf des Abends muss sich der ernüchterte Professor eingestehen, dass er sein Problem keinem von ihnen anvertrauen kann. Auch von ihnen hat er sich innerlich entfremdet.
Doch damit nicht genug - Andersen schlittert noch weiter in seine Sinnkrise. Dem grüblerischen Ibsen-Kenner wird bald bewusst, dass ausgerechnet sein Schaffen eigentlich sinnlos ist. Auf Ibsens Werke reagieren die Leser nicht mehr mit Ergriffenheit - was für einen Wert hat Literatur also für eine Gesellschaft, wenn sie dazu nicht mehr in der Lage ist?
Bekanntschaft mit dem Mörder
Solstad, 64 Jahre alt und einer der renommiertesten und bekanntesten Schriftsteller in seinem Heimatland Norwegen, lässt diesen pessimistischen Roman wie einen Kriminalroman beginnen. Zwar löst sich das grösste Rätsel, die Identität des Mörders, später auf, wenn der Professor dessen Bekanntschaft macht. Für Spannung, für Suspense, ist jedoch weiterhin gesorgt, weil der Professor sich nicht schlüssig wird, wie er mit seiner aussergewöhnlichen Situation umgehen soll.
Das Anderssein Andersens hat Solstad in seinem zehnten Roman, der 1996 im Original erschien, auch stilistisch umgesetzt. Des Professors Kopflastigkeit spiegelt sich auf brillante Weise in den mäandernden Gedankenschlaufen. Die oft langen Sätze lesen sich aber alles andere als sperrig oder ermüdend. Vielmehr wie ein Strom, der einen mal in ruhigere, mal in peitschende Gewässer reisst und einen schliesslich, nachdenklich bis verstört, an eine aufgerissene Uferpromenade spült.

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