Giovanni Maciocia

TCM und Gynäkologie

Der durch viele Publikationen ausgewiesene Experte Giovanni Maciocia hat ein Buch zu einem Gebiet vorgelegt, das für die Praxis der Traditionellen Chinesischen Medizin von großer Bedeutung ist: der Gynäkologie. Einerseits verlangen gerade weibliche Patienten besonders nach "sanften", "natürlichen" Behandlungsmethoden. Andererseits hat die westliche Schulmedizin - im Gegensatz zur TCM - in der Frauenheilkunde häufig sehr wenig oder gar nichts zu bieten. Das neue Buch von Giovanni Maciocia baut auf zwei früher erschienenen Lehrbüchern des Autors auf, "Die Grundlagen der Chinesischen Medizin" und "Die Praxis der Chinesischen Medizin: die Behandlung von Erkrankungen mit Akupunktur und chinesischer Arzneimitteltherapie". Eine Kenntnis der Chinesischen Organphysiologie, der Anatomie der wichtigsten Akupunkturpunkte, der Regeln der Punktkombination und Dosierung von Chinesischen Arzneimitteln gehört zu den Voraussetzungen der Lektüre des neuen Werkes. 64 gynäkologische Erkrankungen werden in dem Buch hinsichtlich ihrer Ätiologie und Pathologie, Differenzierung nach Chinesischen Syndromen und entsprechender Behandlung ausführlich vorgestellt - ein wirklich breites Spektrum also. Positiv hervorzuheben ist besonders, dass sich darunter nicht nur klassische gynäkologische Störungen befinden, sondern auch Beschwerden wie Kopfschmerzen, Hauterkrankungen, Fieber oder Diarrhö, die man nicht unbedingt dem weiblichen Zyklus zuordnen würde. Zu jeder Störung werden - oft mehrere - Beispielfälle vorgestellt und besprochen. Diese zahlreichen Kasuistiken ermöglichen weitere, vertiefende Einblicke. Hinweise zur Prognose und der Wirksamkeit von Akupunktur oder Arzneimitteltherapie fehlen in keinem Kapitel. Im Vergleich mit anderen Arbeiten hervorzuheben ist, dass Maciocia nicht nur die in der Gynäkologie hauptsächlich bedeutsamen Funktionskreise Leber, Niere und Milz einbezieht, sondern auch auf die Rolle von Herz, Lunge und Magen aufmerksam macht. Den außerordentlichen Leitbahnen, insbesondere Chong Mai und Ren Mai, aber auch Du Mai und Dai Mai weist der Autor eine große Bedeutung zu. Besonders bei komplexen Mustern ermöglicht ihre Einbeziehung eine erfolgversprechende Therapie. Dem Text vorangestellt sind sechzehn Abbildungen mit verschiedenen Zungenbefunden, die aus diagnostischer Sicht relevant sind. Wichtig ist, dass nicht nur die allgemeinen Kriterien der Puls- und Zungendiagnostik besprochen werden, sondern der Autor zusätzlich auf spezielle Aspekte aus dem gynäkologischen Bereich eingeht, die in anderen Lehrbüchern nicht zur Sprache kommen. So gibt es beispielsweise auf der Zunge Mamma-Areale, was weniger bekannt ist. Ein Anhang enthält u.a. zahlreiche Arzneimittel-Rezepte und eine Gegenüberstellung des westlichen und des chinesischen Wissens über die Anatomie des gynäkologischen Systems. Bedauerlich ist, dass der Übersetzer sich nicht an den Entschluss des Autors gebunden fühlte, Störungen entsprechend der chinesischen Terminologie zu benennen. Nun liest man in der deutschen Ausgabe, im Gegensatz zum englischen Original, doch wieder von Metrorrhagie und Menorrhagie, anstatt von "Starker Regelblutung" und "Überfluten und Durchsickern", was doch viel anschaulicher und plastischer gewesen wäre. Doch der Übersetzer entschied sich - wohl mit Rücksicht auf seine Medizinerkollegen - für den "medizinisch gebräuchlicheren Terminus" (S. XXIX). Das ganze Buch "lebt" von der langen praktischen Erfahrung des Autors. So zitiert er nicht nur an vielen Stellen die alten chinesischen Texte, wie man das aus seinen früheren Büchern kennt. Er lässt immer wieder auch eigenes Wissen einfließen. Beispielsweise macht er darauf aufmerksam, dass gerade bei Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren eine Nieren-Yin- und Nieren-Yang-Schwäche meist gemeinsam auftreten oder trotz eines bestehenden Blut-Mangels die Zunge selten dünn ist, wie das als diagnostisches Kriterium häufig beschrieben wird; da der Blut-Mangel meist auf eine Milz-Schwäche zurückzuführen ist, sammelt sich gleichzeitig Feuchtigkeit an, was die Zunge aufgedunsen erscheinen lässt. In der Praxis ist es wichtig zu wissen, dass gerade bei Frauen Hitze- und Kälte-Symptome sehr oft vermischt sind, da Leere-Hitze - wegen der engen Verbindung von Leber-Blut und Nieren-Yin - nicht nur durch Yin-Mangel, sondern auch durch Blut-Mangel hervorgerufen werden kann. Dies sind vielleicht für den Arzt oder Heilpraktiker die wertvollsten Hinweise. Wer die Arbeit von Giovanni Maciocia kennt, wird keinen Anlass zur Kritik an seinem neuesten Werk erwarten. Im Gegenteil, man darf auf die im Vorwort angekündigten zukünftigen Bücher über "die wichtigsten Fachgebiete der Chinesischen Medizin" gespannt sein.

Die Gynäkologie in der Praxis der Chinesischen Medizin