Gioconda Belli

Die Selbstverständlichkeit alter Traditionen

Dies ist die Geschichte von Sofia, einem Zigeunermädchen, das von ihren Eltern durch unglückliche Umstände in einem Dorf mitten in Nicaragua vergessen ging. Die innere Suche nach der Mutter beginnt. Mehrere Personen nehmen sich ihrer an, von denen ein Teil in Magie und Heilkunde gemäss der alten Tradition kundig ist. Schnell wird ihnen klar, dass dieses Kind ein schweres Schicksal, man könnte fast sagen Trauma, in sich trägt. Don Ramón nimmt sie auf wie sein eigenes Kind. Von ihm wird sie später die Hacienda übernehmen. Sofia wird zu einer starken, eigenwilligen Frau. Bei der Heirat mit René zeigt sich dem ganzen Dorf diese Eigenwilligkeit und Stärke, was von nun an im Dorf zu Unruhe führt. Die Dorfbevölkerung spaltet sich. Die eine Seite orientiert sich an der katholischen Kirche und lebt den Machismo, die andere Seite beruft sich auf die alten Weisheiten des Ursprungs. Diese Spaltung spiegelt sich auch in der Ehe von Sofia und René wider. Schnell wird Sofia klar, dass sie nicht länger ihr Dasein unter dem patriarchalischen Mann fristen und schon gar nicht ein Kind mit ihm haben kann. So flieht sie in die Nacht hinaus, das Schicksal meint es gut mit ihr, Don Ramón stirbt in derselben Nacht, sie wird zur Herrin der Hacienda zusammen mit dem homosexuellen Neffen von Don Ramón und erreicht die Scheidung von René. Mit der neu gewonnenen Freiheit blüht sie mit der Hacienda auf. Doch ihr Trauma ist nach wie vor präsent. Aus der unbeständigen Liebschaft mit dem Rechtsanwalt, der ihr bei der Scheidung geholfen hatte, kriegt sie eine Tochter. Ihre Feinde versuchen immer wieder, ihr das Leben schwer zu machen, doch ihre starken Freunde unterstützen sie bei ihrem Werdegang, auch mit Hilfe magischer Rituale. Eines Tages passiert etwas mit Sofias Tochter und es scheint, ihre eigene Geschichte würde sich an der eigenen Tochter wiederholen. Doch die Tochter hat eine Schlüsselstellung in der Auflösung von Sofias Trauma inne... Gioconda Belli lässt den Leser an den Emotionen teilhaben und hat mit diesem Buch einen Roman ganz nach der Tradition der südamerikanischen Literatur verfasst, wo Schamanismus, moderne Psychologie und Magie keine Antagonismen sind, sondern Hand in Hand gehen. Die alte Tradition ist dabei kein überholtes Relikt sondern eine hilfreiche Selbstverständlichkeit im gesellschaftlichen Alltag.

Tochter des Vulkans

Bellis Rückblick auf ihren aktiven Kampf für die Revolution in Nicaragua

Gioconda Belli wurde 1958 in Managua als Tochter einer Familie aus der Oberschicht Nicaraguas geboren, heiratete mit 18 standesgemäss und gebar ein Jahr später ihre erste Tochter. Anders als man es bei einer Literatur-Nobelpreis-Trägerin erwarten würde, war Belli in ihren jungen Jahren zwar eine begeisterte Leserin aber schriftstellerisch noch nicht sehr aktiv - abgesehen von ein paar Gedichten. Die Schriftstellerei sollte erst einige Jahre später zum Mittelpunkt ihrer Tätigkeit werden. Vorerst war es die Politik, die sie am meisten interessierte: Belli beteiligte sich ab 1970 am Widerstand der Sandinistischen Befreiungsfront FSLN gegen die Somoza-Diktatur. Also nicht gerade das, was einer Frau aus der Oberschicht geziemt. Wenn man nicht wüsste, dass das Geschriebene die Erinnerungen Gioconda Bellis sind, könnte man meinen, einen seichten Thriller zu lesen. Ein bisschen Liebe, Sex und Tod und eine Portion Gewalt. Intrigen, Verschwörungen und erschütternde Schicksale, also alles, was einen seichten Thriller ausmacht. Doch das Ganze beruht auf Erlebtem. Stellenweise sind es die gar schwülstigen Worte Bellis, die die Seichtheit unterstützen: "Ich weiss nicht, ob ich es brauchte, zu leiden - mehr als einmal im Leben habe ich mir das Glück durch die Finger schlüpfen lassen -, doch brandete das Bild von Marcos, riesig und idealisiert, an den Strand meiner Seele und riss Schiffe, Brücken, ganze Dörfer mit sich fort." Nicht alles ist in diesem melodramatischen Stil geschrieben. Belli kann auch im nüchternen Erzählstil berichten. Fesselnde Lektüre ist es aber nicht. Es ist vielmehr der Inhalt, der dieses Buch interessant macht: Ein durchaus kritischer - nicht idealisierender - Rückblick auf den Sandinistischen Widerstand in Nicaragua, gespickt mit sehr Persönlichem von Gioconda Belli.

Die Verteidigung des Glücks