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Pedro Lenz: Der Keeper bin ich

"Extremi Lämpe" werden zu "ernsthaften Problemen"

Wer sich vor den soeben erschienenen "Liebesgschichten" nochmals mit dem ersten Roman von Pedro Lenz "Dr Goalie bin ig" auseinandersetzen möchte (erschienen 2010 im Verlag "Der gesunde Menschenversand" und im selben Jahr für den Schweizer Buchpreis nominiert), ist mit der von Raphael Urweider ins Hochdeutsche übersetzten Version "Der Keeper bin ich" gut beraten.

Hier der Goalie, dort der Keeper: Was passiert mit der Geschichte, wenn sie nicht länger in Berndeutsch, sondern in der nächstliegenden Sprache erzählt wird und was passiert dabei mit dem Leser? Ein interessantes Experiment, denn die Übersetzung macht aus dem Goalie tatsächlich einen Keeper und sitzt einem beim Original Pedro Lenz direkt gegenüber und erzählt aus dem Leben seines Protagonisten, wird zum Erzählten des Keepers eine gewisse Distanz spürbar, als läge zwischen dem Bekannten und dem Vertrauten eben doch eine kleine Welt. An "extremi Lämpe" kleben Bildsequenzen, Gerüche, Geräusche und Gefühle: Ein ganzes Universum an Unannehmlichkeiten tut sich auf. "Ernsthafte Probleme" scheinen im Vergleich dazu zwar nicht unbedingt angenehmer, fühlen sich aber ein wenig harmloser an und bleiben in erster Linie doch einfach "ernsthafte Probleme".

Nach einem Jahr im Knast, wo er wegen "Giftgeschichten" einsitzen musste, versucht Keeper in Schummertal, an einem Ort, an dem jeder glaubt, alles vom andern zu wissen, wieder Fuß zu fassen. Ob es dort angefangen hat, im "Maison", der Dorfkneipe, in der Keeper kurz nach seiner Rückkehr vorbeischaut, weiß er nicht so genau, denn wer weiß schon genau, wo die Geschichten beginnen, selten an der Stelle wohl, an der man mit dem Erzählen einsetzt. Dass Keeper viele Geschichten kennt und zu erzählen weiß, ist unbestritten, er ist eine "extreme Plaudertasche" und ein "ewiger Schwätzer" und doch hört man ihm so gern zu. Und gleichzeitig tut er einem Leid, auch wenn der Keeper selbst wohl dazu sagen würde, "der Keeper, der muss dir nicht leidtun", er tut einem Leid, weil er ein zu guter Mensch ist, ein zu gutmütiger Mensch, dem der Blick auf das Ganze und insbesondere auf die Berechenbarkeit der andern fehlt.

Wie Keeper zu seinem Namen kam? Beim Fußballspielen mit den Jungs aus dem Dorf, wo er sich anstelle seines schwächeren Kameraden, der als Torhüter zu viele Tore kassierte und deswegen bestraft werden sollte, verhauen ließ. Dabei rief er: "Der Keeper bin ich! Der Keeper bin ich!". Geschichten wachsen nicht nur nach, wie es Keeper formuliert, nein, Geschichten wiederholen sich auch. Waren es damals ein paar blaue Flecken und Mutters besorgtes Gesicht, sind es Jahre später zwölf Monate im Gefängnis in Witzwil.

Obwohl Keeper nicht nur seinem Wunsch nach einem normalen Leben, sondern auch der Regula, die im "Maison" arbeitet und ihm gefällt, ein Stück näher kommt, steht er sich inmitten seiner vermeintlichen Freunde oft selbst quer im Weg. Einerseits das zunehmende Gefühl der Einengung und andererseits das Bedürfnis nach sicherem Boden unter den Füssen. Geht Keeper aus Schummertal raus, in der Hoffnung auf Ablenkung, überkommt ihn beim Anblick der wenig heilen Welt Hilflosigkeit und Resignation: "Dann wünschst du dir, du wärst nie aus deinem Dorf und nie aus deiner Kindheit raus und es wäre alles noch wie damals, als dir deine Mutter vor dem Einschlafen ein Lied gesungen oder dir der Vater eine Geschichte erzählt hat und danach das Licht gelöscht und alles, alles, was du vom Leben wusstest, hatte noch einigermaßen Platz in deinem Kopf."

Natürlich funktioniert der Goalie auch in Hochdeutscher Sprache und bestimmt hat der gebürtige Berner Raphael Urweider, der über ein ganz besonderes Gespür für Rhythmen und Klänge verfügt, exakte Übersetzungsarbeit geleistet. Aber dennoch wirkt der Keeper atmosphärisch wesentlich platter als das Berndeutsche Original, was vielleicht damit zu tun hat, dass man als Leser mit Schweizerdeutschem Sprachhintergrund den Dialekt automatisch mit dem Mündlichen in Verbindung setzt. Genauso ist es denn auch: Dem Goalie hört man zu (auch wenn man dabei liest) und der Keeper - der Keeper ist zum Lesen da. Beide stecken an mit Fröhlichkeit und Lebensoptimismus und beide lassen einen am Ende des Romans betroffen zurück, ob ihres leisen und traurigen Scheiterns.


von Regula Portillo - 12. Oktober 2012
Der Keeper bin ich
Pedro Lenz
Raphael Urweider (Übersetzung)
Der Keeper bin ich

Bilger 2012
Originalsprache: Berndeutsch
170 Seiten, gebunden
EAN 978-3037620243