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Anne Wiazemsky: Paris, Mai ’68

Auf den Barrikaden mit Jean-Luc

Nach dem Erfolg ihres Romans "Mein Berliner Kind" und anderer Werke schrieb die Schauspielerin und Enkelin des Literaturnobelpreisträgers Francois Mauriac noch dieses hier vorliegende Buch über ihre Liebesbeziehung mit dem französischen Regisseur Jean-Luc Godard. Er war damals 37 und sie 20 Jahre alt und um die beiden herum tobte ein Bürgerkrieg: der Mai `68. Aber nicht die politischen Ereignisse brachten die beiden auseinander, sondern die unterschiedlichen Vorstellungen über das Leben, die Liebe und den Tod. Denn wie so viele andere Männer seiner Generation, war es auch für Godard schwierig zu akzeptieren, dass auch seine junge Frau Karriere machen und nicht nur das Anhängsel des berühmten Regisseurs sein wollte. Aber in der Theorie waren natürlich alle Feministen, nur nicht bei der eigenen Frau.

Intimes Lebensporträt

So, oder so ähnlich könnte man den vorliegenden Roman interpretieren, wären da nicht noch viele andere Details, die einem die Lektüre zu einem wahrlichen Erlebnis machen. Da gibt es einerseits lustige Kalauer und Anekdoten, andererseits natürlich auch den ernsthaften politischen Hintergrund vom "Mai", bei dem gegen friedlich demonstrierende StudentInnen Tränengas und Gummiknüppel in einem exzessiven Ausmaß eingesetzt wurden, dass dies sogar die bürgerliche Öffentlichkeit entsetzte und die Regierung de Gaulle zu Fall brachte. Anne Wiazemsky gelingt es in bestechender Weise, ihre privaten Einsichten vor dem Hintergrund des Politischen darzustellen und nachvollziehbar zu machen. Schon auf den ersten Seiten schreibt sie: "Die Liebe raubt mir meine Unabhängigkeit" und genauso wird es dann auch kommen, obwohl die Revolution in der Luft lag, änderte dies nichts an den Umgang der Geschlechter untereinander und der Unmöglichkeit von gegenseitiger Liebe. Eine wirklich herzige Episode führt die Protagonistin Anne unter einen Esstisch mit Sir Paul McCartney, während sich oben am Tisch sitzend ihr Mann Jean-Luc mit John Lennon streitet. Auf seine anschließende Frage, was sie mit Paul unter dem Tisch gemacht habe, antwortet sie: "Tee trinken".

...vor politischem Hintergrund

Das Projekt mit den Beatles platzte und so musste Godard stattdessen mit den Stones "One plus one" drehen, Dreharbeiten, die Anne mit ihrer Kamera und ihren Worten festhielt und in vorliegendem Buch auch einem breiteren Lesepublikum zugänglich macht. Die Veränderungen und Umwälzungen des Pariser Mai hinterließen aber nicht nur politische Verheerungen, sondern auch in ihrer Beziehung zu Jean-Luc. Liebevoll beschreibt sie seine Eifersucht und sein cholerisches Aufbegehren gegen Vereinnahmungen. Eine gewisse Distanz verspürt sie gegenüber seinen politischen Ambitionen und seinem verzweifelten Engagement, das ins Leere läuft. Der Regisseur von "Die Chinesin", ein Film mit dem er den Mai `68 quasi vorwegnahm, verlor sich in Debatten oder der Auflösung der Filmfestspiele von Cannes, also eigentlich rein symbolischer Politik. "Wir sind keine Künstler mehr. Wir sind Fürsprecher - für die Revolution, für den Wandel, für ein Fernsehen, das allen gehört." Mit anderen Regisseuren wie Bertolucci oder Ferreri führt Godard Scharmützel und Kleinkriege aus, aber niemals vergisst er dabei seinen ganz eigentümlichen sympathischen Humor. Ein schönes Buch, ideal für den Wonnemonat Mai 2018.


von Juergen Weber - 27. Mai 2018
Paris, Mai ’68
Anne Wiazemsky
Paris, Mai ’68

Ein Erinnerungsroman
Wagenbach 2018
168 Seiten, gebunden
EAN 978-3803113313