Tradition und Fortschritt am Bosporus
Der gefühlstiefe Rückblick beginnt in den schmalen Gassen Istanbuls, wo die Kluft zwischen Stadt und Land sichtbar ist, im Viertel Beyouglo, das seinen europäischen Einfluss nicht verleugnen kann. Beyouglo, als Kind vom Erzähler als Fremde wahrgenommen, wo nicht die Armut, sondern das Geld zu Hause ist, wo Tag und Nacht Vergnügen und Genuss herrschen. Ein multikultureller Schmelztiegel, dessen Lebensart verschiedener nicht sein kann. Als das Hollywood Istanbuls später überwiegend Pornos produziert, verfällt der Stadtteil. Bauern aus Anatolien finden hier eine neue Heimat. Abseits der Hauptstraße sitzen Männer vor den Häusern bei orientalischen Brettspielen, rieselt der Putz von den alten Häusern, toben und lärmen Kinder. Im Laufe der Zeit zieht es die geistige Elite nach Beyouglo, wo die Läden zwar nicht mehr die der Kindheit sind, aber das lebhafte Treiben, die Musik und die Gerüche in den Gassen sind geblieben.
Istanbul, die heutige 10-Millionen-Metropole, wo man in den ältesten Viertel wie Beyouglo und Galata Zeugnisse der orientalischen Architektur findet. Wo die Menschen das Innenleben der Häuser ihrer alten Geborgenheit anpassen, wo Fensteröffnungen weichen und neue entstehen, wo selbst moderne Heizungen durch den Kohleofen ausgetauscht werden. Ein Brückenschlag zwischen Tradition und Fortschritt, der den Autor statt zum Architekten zum Schriftsteller werden ließ. Der Gang durch Istanbul kann aber auch zu einem innerlichen Aufruhr führen. So ist es dem durch die Straßen bummelnden Mann ergangen. Die Wahrnehmung eines Verbotsschildes löst bei ihm ein bitteres Gefühl des Ausgegrenzten, des nicht Dazugehörenden aus. Er wird immer gereizter und bekommt einen Hass auf die Selbstsucht der Anderen. Doch seine Vernunft besiegt den inneren Feind, die Wut.
Auch kann man sich in der lebendigen Metropole sehr einsam fühlen. Diese Erfahrung macht der Erzähler an dem Tag des Attentats auf das World Trade Center. Geschockt von den Bildern sucht er nach Menschen, die gemeinsam mit ihm gegen die Barbarei protestieren. Aber der Hass auf den Westen, symbolisiert durch die USA, ist zu groß. Zurück bleiben ein sichtlich bewegter Erzähler und ein hartes, abgekühltes Umfeld. Zurück bleiben die Frage nach der Sicherung der Freiheit und Demokratie und die Frage nach dem Verständnis für den Anderen. Die Frage der Akzeptanz spürt der Erzähler dann am eigenen Leib: In einem Interview benennt er den Völkermord an den Armeniern und die Ermordung tausender Kurden. Eine Provokation für den Staat. Er wird angeklagt und bezichtigt, die Türkei beleidigt zu haben. Über die Medien wird ihm gedroht, seine Bücher werden verbrannt. Wie seine in "Schnee" auftauchende Romanfigur "Ka" verlässt der Erzähler sein Istanbul und geht ins Exil.
Der Erzähler blickt aber noch einmal aus dem Fenster und schlüpft in den kleinen Ali, der mit seinem Bruder wie jedes andere Kind in jedem anderen Land Bilder von internationalen Persönlichkeiten wie Greta Garbo und Atatürk sammelt. Während sein Vater die Familie verlässt, kämpft er mit seinem Bruder um die Bilder "der Reihe des Ruhms". Sie besuchen die Großmutter und nie mehr wieder hat der Erzähler die dort empfundenen Gerüche und Eindrücke erlebt.
Die Einblicke enden mit dem Tod des Vaters. Nicht nur der Schmerz ist sichtbar, sondern auch das Spiegelbild. Heute weiß der Erzähler, dass er in die Fußstapfen seines geliebten Vaters getreten ist.
"Der Blick aus meinem Fenster" ist ein gedanklich gehaltvoller Blick auf das Leben des Erzählers, der autobiografische Züge mit fiktiven Elementen mischt. Mal aus der Perspektive des Kindes erzählt und mal aus der Perspektive des Erwachsenen liefert er einen ganz persönlichen sensiblen Lebensbericht, der nicht nur die Komplexität der gestrigen und heutigen Stadt am Bosporus aufzeigt. Die Frage nach der Nation, die Frage nach der Identität, die Frage nach den Menschenrechten und der Vernunft schwingt ständig mit. Ein Brückenschlag zwischen der ganz persönlichen Vita des Autors und der Politik, ein Brückenschlag zwischen Tradition und Fortschritt.
Zu kurz kommt die Textinterpretation von Heikko Deutschmann. Sie gibt die Verbundenheit und die Liebe Orhan Pamuks zu Istanbul nicht genügend wieder. Auch wenn die Aussprache sauber ist und einige Textpassagen gut hervorgehoben sind, fehlt eine angemessene Akzentsetzung, die den Hörer aufsaugt und ihn mit in den Text nimmt. Vor allem aufgrund des Inhaltes aber dennoch ein wirklicher Hörgenuss.
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