Dostojewskij und Rossini in Venedig
"Den 'venezianischen Roman' zu schreiben, hatte er schon mit fünfzehn vorgehabt." Jetzt sitzt der russische Schriftsteller Fjodor M. Dostojewskij nach einer zweimonatigen Europareise im Hotel Belle Arti in Venedig und will eigentlich wieder zurück nach Piter. Doch dann begegnet ihm der 30 Jahre ältere italienische Komponist Gioachino Rossini, der ihm das wahre Venedig zeigt.
Viva il castrato!
Die Fiktion des österreichischen Schriftstellers Michael Dangl ist mehr als gelungen. Die Affinitäten zwischen Venedig und St. Petersburg (von Einheimischen liebevoll "Piter" genannt) arbeitet er gut und überzeugend heraus, denn Fedjuscha (wie Dostojewski von seiner Mutter genannt wurde) erinnert sich bei seinen Spaziergängen durch die österreichisch besetzte Lagunenstadt immer wieder an seine Heimatstadt und schreibt in Gedanken seinen Raskolnikow ("Schuld und Sühne"). Aber es sind nicht nur sehnsüchtige und nostalgische Gedanken, sondern auch sehr schmerzhafte. Fjodor M. Dostojewskij war wegen eines lächerlichen Vergehens zu zehn Jahren Sibirien verurteilt worden. Dass er jetzt in einer venezianischen Osteria "pelle di mele" (Apfelschalen) statt Pelmeni (Tortellini) serviert bekommt, heitert seine Laune dann dementsprechend auf. Rossini hingegen hatte mit 40, also im Alter von Dostojewski, aufgehört, Opern zu schreiben und sich "dem Genuss des Lebens" hingegeben und genau das will er nun auch seinem neuen Freund vermitteln. Der Humor des Autors blitzt immer wieder auf und macht Orangen für Dostojewski zu einer unterhaltsamen Lektüre, bei der man auch viel über die beiden Länder, Städte und Kulturen lernen kann. Letzteres nicht nur über das Kulinarische, wie der passend eingebaute "castrato marinato" (eingelegter Lammbock) aufschlussreich und effektvoll illustriert. Auch die Österreicher kriegen in diesem unterhaltsamen Roman vor historischer Kulisse gehörig ihr Fett ab, haben sie doch in ihrer jahrzehntelangen Besetzung Venedigs kaum etwas Gutes hinterlassen.
Die Glut weitergeben
Ebenso amüsiert und leichtfüßig wie sein Protagonist bewegt sich auch der Leser in diesem Roman über eine Begegnung zweier Geistesgrößen wie sie hätte sein können. Der eine, der Musiker, der andere, der Schriftsteller - auch die Gemeinsamkeiten und Gegensätze der beiden Kunstarten werden treffend dargestellt. Während sich Dostojewski in einigen der unzähligen Casinos Venedigs verliert und wiederfindet, bevorzugt es Rossini, sich den leiblichen Genüssen zu verschreiben. Er umgibt sich mit einem ganzen Hofstaat und lässt sich mit einem Klavier auch nach Lido rudern, nur um sich dort ausgiebig zu betrinken und später in die Tasten zu hämmern. Rossini möchte mit Dostojewski eine opera buffa (sein 40. Werk) über den wohl prominentesten Venezianer schreiben: Giacomo Casanova. Aber Dostojewski zögert. Wird Rossini ihn dennoch überzeugen können? "Vielleicht würden in hundert Jahren neue junge Leute zusammenkommen", schreibt Dangl an einer Stelle, "wie sie, die Nächte durchwachen und sich an ihren, der dann lange Toten, Werken aufrichten und eigene erschaffen. Darum ging es doch. Das Licht weiterzugeben." Und genau das ist dem Schriftsteller und Schauspieler am Wiener Theater in der Josefstadt Michael Dangl wohl auch gelungen: Die Glut weiterzugeben. Das Entfachen des Feuers muss dann jeder für sich selbst bewerkstelligen.
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