Bringer der Pest

Bram Stoker's Dracula (1897), das zur Vorlage von drei Nosferatu-Verfilmungen wurde, nimmt Bezug auf einen alten rumänisch-siebenbürgischen Volksglauben vom "Nosferatu", dem, der Krankheit bringt. In Robert "The Northman" Eggers Verfilmung aus dem Jahre 2024, 102 Jahre nach Murnaus Erstling, wird Nosferatu zum Bringer der Pest.

Von Dorfbewohnern und Vampiren

Über die Ratten des Schiffs "Empusa" wird die Jahrhunderte zuvor ganz Europa verwüstende Pest erneut in den deutschen Hafen Wisborg eingeschleppt. An Bord des Schiffes befindet sich auch Graf Orlok, auch Nosferatu genannt, der sich über einen Vermittler, Herr Knock (Simon McBurney), ein Schloss gekauft hat, um näher an seiner Geliebten Ellen Hutter (Lily-Rose Depp) zu sein. Ellen hat ein Geheimnis, das sie ihrem Ehemann Thomas Hutter (Nicholas Hoult) nicht anvertraut, bevor dieser im Auftrag Knocks die Reise in die Karpaten antritt, um den Vertrag mit Orlok zu besiegeln. Als Jugendliche hatte Ellen großes Verlangen nach Zweisamkeit und suchte verzweifelt nach Beistand, die ihr der transsylvanische Vampir gewährte. Er wurde durch ihr Flehen aus seinem Jahrhunderte andauernden Schlaf geweckt und geht nun diese innige Bindung mit Ellen ein. Die Verbindung soll gleich mehrere Jahre lang in ihren Albträumen bestanden haben und auch ihre körperlichen Bedürfnisse befriedigt haben, bis Ellen schließlich den Immobilienmakler Thomas Hutter zum Mann nahm. Als Thomas sich in einer Gastwirtschaft in den Karpaten einquartiert, um am nächsten Tag erst Orlok in seinem Schloss aufzusuchen, wird er Zeuge einer Vampiraustreibung. Die Bewohner brechen einen Sarg auf und schlagen dem darin befindlichen Leichnam einen Pflock ins Herzen. Die Begegnung mit Graf Orlok persönlich führt zur Vertragsunterzeichnung bezüglich des Immobiliendeals mit Herrn Knock, jedoch weiß Thomas nicht, was er da unterschreibt, da es in der Sprache der Einheimischen verfasst ist. Graf Orlok aber hat sich damit die Seele Ellens gesichert.

Ästhetisch wertvolles Vampir-Abenteuer

Die Vampire mit Adeligen gleichzusetzen, die das Blut ihrer Bediensteten aussaugen, ist eine vielleicht etwas zu marxistische Interpretation des alten rumänisch-siebenbürgischen Volksglaubens. Hinzu kommt nämlich eine besonders ausgeprägte psychosexuelle Komponente, die in Eggers Interpretation des Mythos besonders auf die Freiwilligkeit von Ellen, sich dem Vampir auszuliefern, reduziert wird. So wird die Frau und spätere Ehefrau quasi der Unzucht bezichtigt und als lüsternes, sexualisiertes, unkontrolliertes Wesen dargestellt. Die Inszenierung durch Robert Egger ist ästhetisch sehr wertvoll und atmosphärisch dicht an Murnau (1922) und Herzog (1979) angelehnt. Jede Einstellung ist quasi ein Gemälde und formvollendet perfekt, was Kulisse und Kostüme betrifft. Auch die Besessenheit durch den Vampir wird von Lily-Rose Depp glaubwürdig vermittelt. In weiteren Rollen glänzen Aaron "Kraven - the Hunter" Taylor-Johnson als Friedrich Harding, Emma Corrin als seine Ehefrau Anna und Willem Dafoe als Prof. Albin Eberhart von Franz sowie Ralph Ineson (Dr. Wilhelm Sievers) und Simon McBurney (Herr Knock). Eine sehenswerte Neuinterpretation eines alten Mythos, der nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Stilecht wurde der Soundtrack des Films übrigens ohne die Nutzung von elektronischen Instrumenten und Synthesizern, sondern von einem von 60 Streichern angeführten Orchester eingespielt. Für Lokalkolorit und -audio sorgten die Klänge des klassischen rumänischen Instruments Toaca.