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Daniel Gut: Neidkopf

Ein gern gesehener Faschist

Der Neidkopf. Das ist ein fratzenhafter Tier- oder Menschenkopf - manchmal auch ein Fabelwesen -, mit dem auf Türen und Giebeln von Häusern das vermeintlich Böse abgewehrt werden soll.

Von der Abwehr des Bösen ist auch in Daniel Guts literarischer Recherche über den Schweizer Frontisten Hans Kläui die Rede. Über seinen Ich-Erzähler begibt sich der Sprachwissenschaftler auf eine biografische Spurensuche und geht dabei gleichzeitig den rechtsextremen Schlagseiten der Schweiz nach. Denn bei Hans Kläui handelt es sich um einen "der wichtigsten Männer der zweiten Garnitur der Nationalen Front und Gauleiter der Ostschweizer Parteiorganisation".

Blenden wir ins wirtschaftlich und sozial zerrüttete Europa der 1920er und 30er Jahre zurück. Am rechten Rand des Politspektrums erscheinen die bekannten Erlöser. Sie versprechen, das Böse, in Form der zersetzenden Saat des Liberalismus oder des verhassten Marximus, endgültig auf den "stinkenen Müllhaufen der Geschichte" zu werfen. Auch auf die Schweiz schwappt das völkische Gedankengut über, findet selbst unter Gebildeten seine Anhänger. Kläui wird Mitglied der akademisch geprägten Neuen Front, die sich im Frühjahr 1933 nach und nach in die Nationale Front einbindet.

Stilsicher und sprachlich gekonnt gelingt es Daniel Gut das Persönliche mit den politischen Begleitumständen zu vernetzen. Gerade als der promovierte Romanist Kläui beruflich Rückschläge hinnehmen muss, bietet sich ihm eine Möglichkeit, sich endlich zu profilieren. Als Ortsgruppenführer der Nationalen Front in Flaach baut er eine Zellenorganisation auf. Es gilt die Schweiz zu erneuern, die alten Klassen- und Standesgegensätze zu überwinden und eine rassisch und ideologisch begründete Volksgemeinschaft zu errichten. Was damit gemeint ist, verrät ein Kampflied aus der Feder Kläuis: "Den roten Bonzen Schmach und Sturm: - Das haben wir geschworen - Zermalmend Moskaus gift’gen Wurm, - Den Juda hat geboren. - Den Drachen töten wir , wie Struth, - Dass er sich wälzt im letzten Blut - und neu ein Volk erstehet."

Der böse Drachen, vor dem uns der sagenumwobene Struth bewahren soll, sind die minderwertigen Elemente (Erbkranke, Fremdrassige) und die sittlich zersetzenden Erscheinungen, welche die völkische Substanz der Eidgenossenschaft angreifen. Wenn es darum geht, die Bösewichte zu benennen, nimmt Kläui kein Blatt vor den Mund, es sind dies die Juden, "Nigger" und "Mulatten". Insbesondere der verheerende Einfluss der Juden auf Politik, Wirtschaft und Kultur müsse endlich eingedämmt werden. Glücklicherweise ist der Schweizer "Frontenfrühling" von kurzer Dauer. Interne Kämpfe, Abspaltungen, Ausschlüsse und Austritte schwächen die Bewegung und mit der "Geistigen Landesverteidigung" bildet sich ein Abwehrdispositiv gegen die totalitären Verlockungen.

Mit Akribie hat Daniel Gut Pamphlete und Artikel der 1930er- und 40er-Jahre, die Kläui im "Eisernen Besen", der "Front" oder dem "Grenzboten" veröffentlicht hat, zusammengetragen, sie mit Polizei- und Gerichtsakten ergänzt und literarisch aufbereitet. Daraus ist ein packendes, gut lesbares Bändchen entstanden, das den Naturschützer, Lokalhistoriker und Kulturpreisträger in einem neuen Licht erscheinen lässt. In Anlehnung an Niklaus Meienberg bezeichnet Gut seine Darstellung als Naturgeschichte. Damit stellt er sich in die Tradition der investigativen Recherche. Man sollte daher trotz der exakten Quellenarbeit keinen wissenschaftlichen Text erwarten, sondern ein engagiertes, mitunter auch angriffiges Buch. Der Autor gestaltet ein Zeitgemälde, verleiht ihm mitunter grelle Farben und setzt bewusst eigene Akzente. Das abschliessende Urteil überlässt er allerdings den Lesenden.

Hat Kläui einfach in seinen jungen Jahren in der Hitze des Gefechts über das Ziel hinausgeschossen, wie sein Verhalten nachträglich gerechtfertigt wird? War er verführt worden, oder war es seine Unerfahrenheit und Gutgläubigkeit, die ihn nicht erkennen liessen, in welche Gesellschaft er sich begab? Gewiss, Irrtümer und grundsätzliche Lernfähigkeit ist jedem zuzubilligen. Kläui scheint, will man den Stimmen aus dem familiären Umfeld glauben, eine solche innere Wandlung durchgemacht zu haben. Doch dies - hier ist Hannah Arendt beizupflichten - entbindet niemanden von der Verantwortung für die Folgen der Handlungen. Insbesondere nicht, wenn, wie im Fall von Kläui, sich die Person nie öffentlich von seinen antisemitischen Äusserungen und seiner Bewunderung des nationalsozialistischen Terrorregims distanziert hat. Wer über viele Jahre Rassenhass gepredigt und ein Terrorregime verherrlicht hat, wer gesehen hat, wohin dies geführt hat, kann nicht mit Stillschweigen und Verdrängung darüber hinweg gehen.

Gleichzeitig wirft die fehlende öffentliche Auseinandersetzung auch Schatten auf die schweizerische Vergangenheitsbewältigung nach dem Krieg. Kläui werden Ehrungen zuteil, ohne dass seine Vergangenheit je thematisiert würde. Unter den Vorzeichen des Kalten Krieges war man nur allzu bereit, Gras über die Sache wachsen zu lassen, denn es galt die Reihen im Kampf gegen das Böse, diesmal in Form des Kommunismus, wieder zu schliessen. Mit nur geringen Anpassungen wurden alte Positionen wieder salonfähig.

Mal deutlicher, mal vorsichtiger weist Gut darauf hin, worum es ihm geht. Mit dem Ende der Naziherrschaft in Deutschland ist der braune Bodensatz nicht überwunden, weiterhin existieren rechte Seilschaften und stellen bis heute eine Gefahr für die Demokratie dar. Mag auch die Lokalisierung des Bösen sich ändern, die Argumentationsmuster bleiben die gleichen, immer steht Urständiges gegen Neues, Wohlvertrautes gegen Fremdes. Wenn vorgegeben wird, die wahrhaft schweizerischen Werte vor vermeintlichen Gefahren zu schützen, ist dies immer mit Ausgrenzung von Volksgruppen und Minderheiten verbunden.

Zur kritischen Aufarbeitung dieses Stücks Schweizer Geschichte leistet Gut einen wertvollen Beitrag. Schon August Bebel meinte: "Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten." Allein schon deshalb ist dem Buch eine möglichst grosse Leserschaft zu wünschen.


von Urs Hardegger - 10. August 2015
Neidkopf
Daniel Gut
Neidkopf

Zur Naturgeschichte des Schweizer Frontisten Hans Kläui
elfundzehn 2015
121 Seiten, gebunden
EAN 978-3905769388