James Baldwin: Nach der Flut das Feuer

The Fire Next Time

"Die Welt ist nicht länger weiß, und sie wird nie mehr weiß sein." Das Amerikanische Jahrhundert ist vorbei und da wird zum 100. Geburtstag der schwarze Intellektuelle James Baldwin wiederentdeckt. Der in Harlem aufgewachsene Schriftsteller, Essayist und, wie unlängst durch eine neue Biographie festgestellt wurde, auch Zeuge, war ein Weggenosse Martin Luther Kings und Malcolm X's. 

Schriftstellerei als Ausweg

"Nach der Flut das Feuer", eigentlich ein Bibelzitat, spielt auf die verheerenden Folgen des Rassismus und die weiße Polizeigewalt in den USA an. Die Unruhen in den unterschiedlichsten Städten Amerikas, gleich ob Süden oder Norden, hatten nämlich zumeist einen gemeinsamen Nenner: die Ungerechtigkeit der Segregation. Trotz der Emancipation Declaration von Präsident Abraham Lincoln (1863), hatte sich nämlich auch 100 Jahre noch nichts grundsätzlich geändert. Der Text beginnt mit einem Brief Baldwins an seinen Neffen James, in dem er ihn genau darauf aufmerksam macht: "Dieses Land feiert hundert Jahre Freiheit hundert Jahre zu früh. Wir können erst frei sein, wenn sie frei sind." Denn mehrere Jahrhunderte hatten die Weißen die Schwarzen nicht nur versklavt, sondern auch unterdrückt und ihrer Bürgerrechte beraubt. So war etwa Harlem, der Geburtsbezirk des New Yorkers Baldwin, Anfang der 1920er-Jahre noch von Weißen bewohnt, später jedoch zum Ghetto gemacht, wo nur mehr Schwarze leben sollten. Jobperspektiven gab es für viele Freunde des jungen Baldwin nur beim Militär, aber die meisten kamen "verändert, alten zum Besseren, viele zerstört und viele andere tot" zurück. Auch Baldwin arbeitete damals in einer Rüstungsfabrik und entging so vielleicht einer kriminellen Karriere wie etwa Malcolm X. "So stellte sich die kriminelle Laufbahn - zum ersten Mal - nicht als eine Möglichkeit dar, sondern als DIE Möglichkeit", schreibt Baldwin, "Sie hatten die Richter, die Geschworenen, die Gewehre, das Gesetz - mit einem Wort, die Macht." Als Schwarzer in Amerika lerne man schon vom ersten Augenblick an, in dem man das Licht der Welt erblicke, "sich selbst zu verachten"

Son of a Preacher Man

Die feine Klinge, die Baldwin führt, zeugt von viel Gespür und Humor trotz alledem. Denn als er beschreibt, dass ausgerechnet eine Pastorin ihn mit demselben Spruch zu kapern versuchte, wie es normal Zuhälter, Ganoven oder Prostituierte machten, wird dem jungen James klar, dass er zu niemandem gehören will, außer zu sich selbst. "Na, Kleiner, zu wem gehörst du denn?", waren genau die Worte, die auch die Pastorin wählte und so geriet er ausgerechnet in "die Fänge der Kirche". Dabei war sein Stiefvater David schon beim dem Verein. Als "Son of a Preacher Man" konnte er seinen Vater ausbremsen und ihm so entkommen. Vorläufig. Aber natürlich ist es immer der Sohn, der den Vater umbringt und nicht umgekehrt und so beginnt die Suche nach Ersatzvätern. Als er auf dessen Einladung den "Ehrenwerten Elijah Muhammad" bei ihm zu Hause in Chicago besucht, bietet sich ihm die Option den Black Muslims beizutreten, aber eher noch würde er den Black Panthers die Stange halten. "Ich musste an meinen Vater und mich denken, wie wir hätten sein können, wenn wir Freunde gewesen wären", schreibt Baldwin gelassen und verzichtet nicht darauf, sich in einer Limousine Elijahs in die weiße Nachbarschaft eines weißen Freundes, des "Devils" und Feindes also, chauffieren zu lassen: "Genau genommen war ich mit einigen weißen Teufeln am anderen Ende der Stadt auf einen Drink verabredet." 

The Fire Next Time

Bestechend ist aber nicht nur Baldwins pointierte Ausdrucksweise und sein Humor, sondern auch sein Wissen, dass er als Geste der Versöhnung nutzt. Denn er weiß, dass nur Schwarze und Weiße gemeinsam eine Nation bauen können, in der endlich Gerechtigkeit herrscht. "Vielleicht liegt die Wurzel unserer Misere, der menschlichen Misere, darin, dass wir die ganze Schönheit unseres Lebens opfern, uns von Totems, Tabus, Kreuzen, Blutopfern, Kirchtürmen, Moscheen, Rassen, Armeen, Flaggen und Nationen einsperren lassen, um die Tatsache des Todes zu leugnen, die einzige Tatsache, die wir haben. Mir scheint, wir sollten uns an der Tatsache des Todes erfreuen - ja, sollten beschließen, unseren Tod zu verdienen, indem wir uns mit Leidenschaft dem Rätsel des Lebens stellen. Wir tragen Verantwortung für das Leben: Es ist das kleine Signalfeuer in der beängstigenden Dunkelheit aus der wir kommen und in die wir zurückkehren werden." The Fire Next Time ...

Nach der Flut das Feuer
Miriam Mandelkow (Übersetzung)
Nach der Flut das Feuer
128 Seiten, broschiert
Originalsprache: Englisch
dtv 2024
EAN 978-3423147361

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