Rudolf Voderholzer: »Mutter der schönen Liebe«

Wahre Schönheit

Regensburg leuchtet. Wer die Stadt in der Oberpfalz besucht und eine Weile dort zu Gast sein darf, spaziert durch mittelalterliche Straßen und schlendert an der Donau versonnen und freudig entlang. Regensburg ist reich an Kostbarkeiten, dazu gehören neben kulinarischen Spezialitäten wie dem unvergleichlich schmackhaften Apfelstrudel und den historischen weltlichen Bauwerken, etwa dem Schloss der Familie von Thurn und Taxis, vor allem die Kirchen und die Kunstschätze, die sie bergen. Einer alten, äußerlich unscheinbar anmutenden Kirche hat der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer nun ein kleines, sinnreich illustriertes Buch gewidmet.

Sankt Kassian liegt im Herzen der Stadt. Viele Jahre hindurch wurde die alte Pfarrkirche restauriert, am 18. Oktober 2015 – in glücklichen Vor-Corona-Zeiten – dann feierlich wiedereröffnet. Der neue Altar wurde konsekriert, die alte Kirche erstrahlte in einem neuen Glanz, der Christen wie Kunstverständige anspricht und bewegt. Besonders verehrt wird in Sankt Kassian die "Schöne Maria". Die Fresken im Hauptschiff der Kirche deutet Voderholzer und spricht theologisch über Schönheit. Das Marienbild des Neuen Testaments hat Vorläufer im Alten Testament, "Vorausbilder Marias", so schreibt er, mit Blick auf die Theologie Joseph Ratzingers. Die alttestamentlichen Bilder in der Kirche sind doppelt beschriftet, mit der Angabe der Bibelstelle und mit einem Marientitel. So weisen die Frauen des Alten Testaments – Sara, Judith und andere – bereits auf die "Schöne Maria" hin: "Das die sechs Frauengestalten Verbindende ist nicht nur der gnadentheologische Aspekt, sondern dass von allen diesen Frauen ausdrücklich gesagt wird, dass sie schön seien. Gerade dies macht sie auch noch einmal zu Vorausbildern der Gottesmutter Maria. Gläubige Offenheit für das Gnadenwirken Gottes und innere Schönheit bedingen sich nämlich gegenseitig."

Das Buch öffnet Wege des theologischen Denkens und zeigt zugleich Glaubenserfahrungen auf, historische wie gegenwärtige, etwa wenn der Autor von der Wallfahrtsgeschichte berichtet. Zugleich können die sensiblen Wahrnehmungen auch zeigen, dass Voderholzer hier keine abstrakte, gelehrte Theologie entwickelt oder darlegt, die rein argumentativ Leser bilden oder Suchende überzeugend belehren will. Er zeigt Bilder, Formen schöner Kunst, die über bloß Kunstvolles hinausreichen. Die Kirche hat früher möglicherweise mehr als heute auch durch Schönheit gesprochen. Gläubige Menschen suchen die Begegnung mit Gott auf dem Weg des Schönen, das stets im Einklang mit der Wahrheit gedacht wird und unauflöslich mit ihr verbunden bleibt. Der christliche Glaube tritt uns also nicht als eine Philosophie der Klugheit oder als ein Gebilde moralischer Forderungen entgegen. Glaube und Schönheit gehören zueinander. Von der geistlichen Musik und der Feier der Liturgie, in der die Schönheit niemals Accessoire und Beigabe ist, wissen dies auch weltlich gesinnte Menschen. Einige von ihnen lassen sich versuchsweise auf die Schönheit der Kunst ein, oft ganz unbemerkt, wenn sie nämlich Kirchen besuchen und in ihnen nicht zuerst ein UNESCO-Weltkulturerbe oder eine Art steinernes Vermächtnis des christlichen Abendlandes sehen. Rudolf Voderholzer berichtet von der Wallfahrtsgeschichte zur "Schönen Maria", die bis heute andauert: "Maria kann durch ihre Fürbitte allen Menschen, die an Christus glauben, den Weg zum Heil bahnen. Die Fresken geleitet den Wallfahrer somit zur Schönen Maria mit der Aussage: Ja, es lohnt sich, Maria anzurufen und um ihre Fürsprache zu bitten. Denn sie ist die absolut Schöne, die bei Christus für Dich einstehen kann."

Mit der Kirche Sankt Kassian in Regensburg macht dieses schmale, gedankenvolle Buch also vertraut. Zugleich erweist sich der Band als eine Einführung in den christlichen Glauben und in die Glaubensgeschichte. Dabei wird der Glaube dem Leser nicht aufgedrängt, sondern leise und sensibel angeboten. Über die Erfahrung des Glaubens wird berichtet, von dieser erzählen auch die Kunstschätze in Sankt Kassian. Der Regensburger Bischof verweist darauf, dass Sünde und Hass hässlich machen. Das Hässliche zeigt also auch eine Entfremdung des Menschen an. Die Schönheit steht für Freundlichkeit und Güte, für die Zugewandtheit des Herzens zum Nächsten und für die Liebe. Heute sehen wir medial und öffentlich, dass Schönheit zumeist auf ein schales Adjektiv und ein äußerliches Styling reduziert wird, auf eine vordergründige Ästhetik. Lässt sich Schönheit eigentlich begrifflich bestimmen? Wir könnten Philosophen zurate ziehen, wir müssen aber nicht. Einfach denkende, einfach gläubige Menschen sehen oft sehr viel weiter, genauer und schärfer. Rudolf Voderholzer schreibt mit großer Klarheit: "Wahre Schönheit kommt von innen." Dem stimmen wahrscheinlich auch säkular denkende Menschen zu. Der nächste Satz des Theologen lädt alle zum Nachdenken ein: "Das Motiv der Schönheit gibt an, dass eine Person transparent ist für die Liebe Gottes." Einige Leser mögen den Satz vielleicht mit sich tragen, andere eher skeptisch bleiben. Der eine oder die andere fragt möglicherweise weiter oder verweilt bei dem hier geäußerten Gedanken. Dieses kleine Buch ist nicht nur lesenswert, sondern auch eine diskrete Einladung in die Donaustadt. Die Lektüre lohnt sich, die Reise in die Oberpfalz um nichts weniger. Wer Regensburg noch nicht kennt, könnte sein Herz an die Stadt und ihre Kirchen verlieren.

»Mutter der schönen Liebe«
»Mutter der schönen Liebe«
Maria und ihre biblischen Vorausbilder in der Regensburger Kirche St. Kassian
56 Seiten, broschiert
EAN 978-3795436957

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