Mythen des Mittelalters
Will man einen Sammelband besprechen, so ist es allgemein üblich, zu Beginn kritisch anzumerken, welche Themen und Aspekte zu Unrecht nicht behandelt worden sind. "Mittelalter-Mythen Bd. 5. Burgen - Länder - Orte" - ist ein Band, der fast zwingend solche (vermeintlichen) Lücken aufweisen muss, kann doch eine Vollständigkeit gar nicht erreicht werden, und war eine solche folgerichtig auch nicht angestrebt. Daher soll an dieser Stelle im Gegenteil das weite Spektrum der Beiträge positiv hervorgehoben werden: Aachen und Atlantis; der Berg, die Burg, Disneys Traumschlösser und der Kerker; der Garten Eden und die Hölle; Jerusalem, die Kathedralbaukunst und der Locus amoenus; Montségur und der Rhein, Rom und Santiago de Compostela; die Wartburg, Wald und Wüste - allein diese willkürliche Auswahl lässt ahnen, was dem Leser hier geboten wird.
Die einzelnen Artikel sind recht unterschiedlich aufgebaut, was zum einen darin begründet ist, dass Fachleute verschiedener Disziplinen an dem Projekt mitgearbeitet haben, zum anderen aber auch darin, dass seitens der Redaktion bewusst auf einschränkende Vorgaben verzichtet wurde. Dies hat allerdings auch zur Folge, dass in manchen Fällen die Artikel lediglich deskriptiven Charakter haben, und die Frage nach der Entstehung und Wandlung des Mythos und der Hintergründe dieser Vorgänge zu kurz kommt - was aber in Ansehung des Umfangs der Artikel auch nicht immer zu leisten ist. Die Beiträge bieten in aller Regel eine reichhaltige Bibliographie zu dem behandelten Thema an, so dass der Leser problemlos die Themen vertiefen kann.
Bei manchen Artikeln stellt sich allerdings durchaus die Frage, wieso sie den Mittelalter-Mythen zugeordnet werden. Exemplarisch sei hier der Artikel "Chinas Große Mauer" von Folker Reichert herausgegriffen - ein äußerst interessanter und lesenswerter Artikel, doch die Erkenntnis, dass die Chinesische Mauer in ihrer heutigen Ausformung weder mittelalterlich ist, noch ihre Existenz dem mittelalterlichen Europäer bekannt war, drängt dem Leser die genannte Frage auf.
Kritisch ist das Glossar zu betrachten: Zwar werden auch andere "mythische Orte" erläutert, doch weshalb an dieser Stelle nochmals die in diesem Band mit einem eigenen Artikel vertretenen Orte angeführt wurden, bleibt diskussionswürdig, insbesondere, wenn hier (unbewusst) selber Mythen kreiert werden, denn beispielsweise "Montségur" lapidar zu erläutern mit "Hauptburg der Katharer in Südfrankreich" gibt die Tatsachen nicht korrekt wieder (vgl. hierzu z.B. Jean-Pierre Sarret, Le Château de Montségur, Carcassonne 1991). An manchen Stellen hätte man sich gewünscht, dass Rechtschreib- und Formatierungsfehler noch ausgemerzt worden wären, doch kann das den positiven Gesamteindruck des Werkes nicht beeinträchtigen: Manchen Mythos nimmt man erst hier bewusst als solchen war (z.B. "Hinter den sieben Bergen"), und manch anderer wird dem Leser erst hier in all seiner Vielschichtigkeit bewusst (z.B. "Glastonbuy").
Es handelt sich mithin um ein lehrreiches und spannendes, auch für den interessierten Laien zu empfehlendes Buch, welches neue Sichtweisen und Eindrücke eröffnet und zu weiterer Lektüre (und Forschung) Anregung sein mag.
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