Ein Denkmal für die Bluesmen
In “Mister Nostalgia”, dem dritten Band der fünfbändigen bibliophilen Robert-Crumb-Edition bei Reprodukt, zelebriert der in Frankreich lebende amerikanische Karikaturist eine Hommage an seine größte Leidenschaft: Country Blues. In insgesamt 16 Episoden huldigt er seinen musikalischen Helden der 1920er-Jahre, Charley Patton, Blind Lemon Jefferson u. v. a. m., vor allem aber dem schwarzen Blues und seinen Vertretern.
Crumb: The Grumpy Old Man ...
Dass Robert Crumbs Herz für den Blues schlägt, konnte man schon in anderen Publikationen des umstrittenen Tausendsassas - ganz laut - hören. Denn tatsächlich ist Robert Crumbs Seele ebenso schwarz wie Robert Johnsons Hautfarbe, auch wenn er seine Seele nicht dem Teufel verschrieben hat. In einer der Episoden in vorliegender Publikation geht ein Weißer an die Haustüren in Schwarzenvierteln der USA von Tür zu Tür. Er ist kein Hausierer, sondern ein Sammler alter Schellackplatten, für die er bis zu 1 Dollar zahlt, meistens aber nur 10 bis 25 Cents. Der weiße Mann mit dem hintergründigen Lächeln ist nichts anderes als eines der vielen Alter Egos des Zeichners und Erzählers Robert Crumb, den dieser mal wieder in große Verlegenheit bringt. Denn natürlich ist er sich seiner unethischen Handlung bewusst, andererseits hatte er damals wirklich nicht mehr Geld.
Es gibt wohl keinen ehrlicheren Zeichner und Erzähler als diesen Robert Crumb, der durch viele von ihm erfundene Figuren Wahrheiten ausspricht, die heute von einer Cancel Culture gerne in Frage gestellt werden. Autofiktion bringt seine Charaktere oft in Situationen, die er wohl selbst einmal so oder so ähnlich erlebt hat. "Ihr Anblick, wenn sie `einen draufmachen´ lässt schier mein Blut gefrieren...warum gehen sie nicht nach Hause und lesen ein Buch?" Der (selbst-)erklärte Misanthrop und Sexist Robert Crumb gibt sich gerne als grumpy old man, der weder die heutige Jugend noch deren Ansichten oder Musik verstehen will. In "Die alten Songs sind die besten Song" beschreibt er seine musikalischen Vorlieben und vergleicht Songs wie "My Guy", "Purple Haze" oder "When you go courtin'" in Karikaturen der Protagonisten. Seine ganze Liebe gilt aber Charley Patton, einem Bluesmusiker, für den er gleich mehrere Seiten aufwendig gestaltet. "Oh Death" soll dieser wenige Wochen vor seinem tatsächlichen Tod mit Bertha Lee erstmals gesungen haben, aber sein Leben war selbstverständlich noch viel aufregender.
... gegen den unaufhörlichen sinnlosen Wandel
Frau Holle, Goldlöckchen und die drei Bären sowie Strassenmusiker sind weitere Geschichten in diesem Band, die zeigen, dass Crumb auch viele andere Metiers spielen kann und seine Kunst so vielfältig wie das Leben selbst ist. Das von ihm selbst verfasste Nachwort, ausschließlich in vorliegender Publikation, zeigt den als sexistisch und rassistisch angefeindeten Autor von seiner zärtlichen Seite. Seine Arbeit versteht er als Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses. Denn es gebe ein Streben nach Kontinuität, den Wunsch, "dass sich nicht alles in diesem unaufhörlichen sinnlosen Wandel auflösen möge", so Crumb himself. Dass er als Künstler oft auch missverstanden werde, illustriert er anhand des Kartoons "Keep on Truckin'", der von ihm eigentlich als "hämische Satire auf den geradezu zwanghaften Optimismus der Popmusik" gedacht war und vielfach als Schlachtruf des Positiven verwendet wurde, obwohl er selbst ihn eigentlich als "ursprünglich sehr morbide" gezeichnet hatte. Viele Aussagen, die er seinen Figuren in den Mund legt, wurden missverständlich dem Schöpfer selbst zugeschrieben, dabei lässt er ja diese etwas sagen, durch seine Feder.
Die Beschreibung der Wirklichkeit, des Sexismus und Rassismus im modernen Amerika, soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Robert Crumb als Kind der Sechziger davor gefeit sei. Selbstkritisch und unmissverständlich zeigt er seine eigenen Defizite auf und thematisiert diese gerne autofiktional. Sympathisch sind an ihm in jedem Fall auch seine antikommerzialistische Haltung und seine Kritik an Profit, Naturzerstörung und der geschichtslosen Zerstörung eines Landes, das eigentlich viel mehr zu bieten hätte als nur Kalten Krieg und heiße Hamburger. In verrückt-realistischen Zeichnungen erzählt Robert Crumb vom Alltag seiner Bluesmen, ihrer Einsamkeit, der Zerrissenheit zwischen Sex und Religion, Blues und Gospel und einem Amerika, das es heute vielleicht schon gar nicht mehr gibt. So gesehen ist nicht nur seine 5000 Exemplare zählende Blues-Schellacks-Sammlung eine Bewahrung des kulturellen Erbes, sondern auch seine vielgestaltigen Zeichnungen und Cartoons, die von Reprodukt in einer bibliophilen Gesamtausgabe neu aufgelegt wurden.
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Avengers. Vol. 2. 1965–1967Eine bitterböse Abrechnung
Amerika versammelt Cartoons über Robert Crumbs "modernes Amerika", das er zugleich liebt und hasst - von Frankreich aus.
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