Sigmund Freud, der Lügner?
Zu den Autoren, die den jugendlichen Michel Onfray begeisterten, gehörten Nietzsche, Marx und Freud - er entdeckte in ihnen drei Freunde. Nietzsche ist es geblieben, Marx machte aus ihm einen Sozialisten und Freud, von dem sagt er sich in diesem Buch los, und zwar mit einer Vehemenz, die einen einigermassen erstaunt zurücklässt.
So recht eigentlich gar nichts sei wissenschaftlich an Freud, er habe nichts anderes gemacht, als seine persönlichen Erfahrungen zu universellen erklärt, so Onfray. Nehmen wir die Traumdeutung: Wenn diese wissenschaftlichen Standards genügen würde, dann kämen doch 100 Psychoanalytiker bei der Deutung desselben Traumes zum selben Ergebnis. Doch dem ist mitnichten so, denn viel wahrscheinlicher ist, dass die 100 Psychoanalytiker zu 100 verschiedenen Deutungen kommen werden.
"Freud gab sich den Anschein des Wissenschaftlers, agierte aber als Philosoph", schreibt Onfray und macht sich daran, das zu belegen. Da ich selber von der Wissenschaft, so sie denn mit dem menschlichen Verhalten zu tun hat, wenig halte, kann ich nicht wirklich verstehen, was an einem Philosophen so schlimm sein könnte ("Jede Philosophie gründet in eine Autobiographie"), doch Onfray geht es um etwas anderes: Er will unter anderem zeigen, dass Freud ein Lügner ist. An einschlägigen Beispielen fehlt es in seinem "Anti Freud" nicht.
Man lernt einiges in diesem Werk. Und die Beschäftigung damit lohnt. Wegen Auseinandersetzungen wie diesen: "Das Bewusstmachen einer Verdrängung durch die Analyse führt zum Verschwinden des Symptoms" versus "Das Bewusstmachen einer Verdrängung hat noch nie mechanisch zum Verschwinden der Symptome, geschweige denn zu einer Heilung geführt." "Freud entdeckte eine Technik, die mittels der Kur und der Couch die Behandlung und Heilung von Psychopathologien ermöglicht" versus "Die analytische Therapie ist ein Ausläufer des magischen Denkens: Sie wirkt ausschliesslich durch den Placeboeffekt." "Leistet ein Patient Widerstand gegen die Psychoanalyse, so gilt dies als Beweis für das Vorliegen einer Neurose" versus "Die Ablehnung des magischen Denkens verpflichtet keineswegs dazu, sein Schicksal in die Hände des Hexenmeisters zu legen."
Michel Onfray hat seinem Buch ein Zitat von Nietzsche vorangestellt, das sehr schön zusammenfasst, worum es ihm mit seinem "Anti Freud" zu tun ist. Die Philosophen, schreibt Nietzsche, seien zumeist "verschmitzte Fürsprecher ihrer Vorurteile, die sie 'Wahrheiten' taufen ...".
Das Buch habe, so liest man, in Frankreich hohe Wellen geworfen. Jetzt ist auch das Gegenpamphlet der Psychoanalytikerin Elisabeth Roudinesco erschienen, die sich in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung am 12. April 2011 unter anderem wie folgt äusserte: "Mit jedem Buch hat Onfray sämtliche Spezialisten der Disziplin, die er behandelt, gegen sich. Und man versteht, warum: Er gibt vor, der Erste zu sein, der die Materialisten der Antike entdeckt hat - die in Wirklichkeit überall studiert werden; er behauptet, dass Platon und Kant Prä-Nazis gewesen seien, dass Sade ebenfalls ein Vorläufer des Nazismus gewesen sei wie im Übrigen auch das Judentum, das Christentum und der Islam ... Wenn man ihn kritisiert, nimmt er die Haltung des Märtyrers ein, eines Opfers der Konformisten. Aber mit seinem Anti-Freud ist es dann doch ein Buch zu viel. Denn aus Freud einen Nazi, einen vom Inzest Getriebenen, einen Feind der Homosexuellen, einen Vergewaltiger, Frauenhasser, Gauner, Betrüger, Drogenabhängigen zu machen, das kann man nicht mehr durchgehen lassen."
Verblüffend wie verschieden man doch Bücher lesen kann - wer hat also Recht? Keine Ahnung, mich kümmert das auch gar nicht, denn ich nehme mir aus den Büchern, was mir gefällt und den Rest lasse ich.
Wenn einer die ganzen Spezialisten einer Disziplin (und die Massenmedien) gegen sich hat, muss das noch nicht unbedingt gegen ihn sprechen. Fazit: Man lese das Buch und mache sich sein eigenes Bild.

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