Eine wahre Tragödie
Dem Lektorat des literarischen Teils des C.H. Becks Verlags ist wieder einmal eine wunderbare Entdeckung gelungen. Die 1979 geborene und mit ihrer Familie in Massachusetts lebende Schriftstellerin Elizabeth H. Winthrop ist hierzulande noch unbekannt. Nun hat C.H. Beck ihren dritten Roman "Mercy Seat", der zeitgleich in den USA erscheint, von dem Schriftsteller Hansjörg Schertenleib, dessen letzte Romane bei Aufbau in Berlin erschienen sind, ins Deutsche übersetzen lassen, was ihm hervorragend gelungen ist.
Inspiriert von dem Song "Mercy Seat" von Nick Cave & The Bad Seeds und einer wahren Begebenheit hat Elizabeth H. Winthrop eine Geschichte erzählt, die einen, hat man den Roman erst einmal begonnen, nicht mehr loslässt. Eine Geschichte von Rassismus und Unterdrückung, die dem Leser unter die Haut geht und ihn lange weiter beschäftigen wird.
Die Handlung spielt im Jahr 1943 in Louisiana. Ein junger Schwarzer namens Will ist in dem kleinen Ort St. Martinsville zum Tode verurteilt worden, weil er angeblich ein weißes Mädchen, die Tochter eines ortsansässigen Ladenbesitzers, vergewaltigt haben soll. Tatsächlich aber haben sich die beiden geliebt und das Mädchen hat sich aus Verzweiflung über die Verhaftung und Verurteilung von Will umgebracht.
Alle im Ort wissen ganz genau, dass das Todesurteil ein Skandal ist, doch Kritik gibt es nur hinter vorgehaltener Hand. Selbst der neu ernannte Staatsanwalt, der sich doch so viel vorgenommen hatte, um in einer von Rassismus und "white supremecy" geprägten Gesellschaft für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, hat, obwohl er von Wills Unschuld überzeugt ist, das Urteil verlangt, weil eine Gruppe von Klan-Anhängern gedroht hat, seinen Sohn erneut zu entführen und dieses Mal zu töten.
Will selbst hat im Gefängnis sich mit seinem Schicksal abgefunden und aus großer Trauer und Schuldgefühlen seiner Freundin gegenüber in seinen bevorstehenden Tod eingewilligt. Der ist in Gestalt eines mobilen elektrischen Stuhls schon nach St. Martinsville unterwegs. Es sind die letzten Stunden, bevor um Mitternacht der elektrische Stuhl zum Einsatz kommen soll und Elizabeth H. Winthrop begleitet verschiedene Personen, die abwechselnd zu Wort kommen. Da ist neben Will und seinem Vater Frank, der auf dem Weg ins Gefängnis ist, um nach der Hinrichtung seinen Sohn mit einem richtigen Sarg, den er auf Kredit gekauft hat, zu beerdigen.
Da ist der verzweifelte und in seiner Berufsehre zerstörte Staatsanwalt, sein Sohn Gabe und seine Frau Polly, die ihm schwere Vorwürfe macht. Der an seinem Glauben zweifelnde Priester Hannigan, der Will über lange Zeit im Gefängnis seelsorgerlich betreut hat, und an seiner Aufgabe fast zerbricht. Der Tankwart Dale, und seine Frau Nell, die für Will eine letzte Mahlzeit kochen wird.
Feinfühlig erzählt die Autorin, wie die einzelnen Personen mit dem Urteil und ihrem jeweils eigenen Gewissen umgehen. Spannend entwickelt sie eine Handlung, bei der alles auf die entscheidende nächtliche Stunde der Hinrichtung zuläuft, die auf jeden von ihnen eine ganz besondere persönliche Anziehung ausübt. Natürlich versammelt sich vor dem Gefängnis auch der rechte rassistische Mob, doch die Menschen, die Winthrop zu Wort kommen lässt, sind Menschen, aus deren mutiger Haltung sich zwanzig Jahre später die schwarze Bürgerrechtsbewegung entwickeln wird.
Die Ereignisse überschlagen sich bis zu einem überraschenden Ende, das aber nur einen Aufschub gewährt. Das Buch lebt von seiner Multiperspektive, die Winthrop geschickt zu einem Gesamtbild zusammenfügt, das den Leser gefangen nimmt und ihn gleichermaßen empört.
Und zu der Erkenntnis bringt, dass sich im Wesentlichen in den USA nicht viel verändert hat, was den Rassismus betrifft. Es ist zu wünschen, dass C.H. Beck weitere Romane dieser beeindruckenden Schriftstellerin verlegen wird.
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