Portrait einer Gesellschaft
Die vorliegende Publikation des Schirmer Mosel Verlag kann durchaus als Fotografie-Kompendium und kulturhistorisches Standardwerk, was die Geschichte der Fotografie betrifft, bezeichnet werden. Die in August Sanders Fotografie mittel- und unmittelbar aufgezeigten Aspekte sind so reichhaltig wie die Fragestellungen des Lebens selbst, handele es sich um die Zeit der Weimarer Republik, in der sie entstandenen, oder um die heutige. Als "Physiognomie der Zeit" wurden sie schon damals bezeichnet, denn Sanders ging seinem Werk fast 50 Jahre nach. "Dass die künstlerische Mehrdimensionalität einer dem nüchternen dokumentarischen Stil und übergreifenden Konzepten folgenden Photographie heute eine solche Anerkennung findet, ist nicht zuletzt das Verdienst August Sanders", so Conrad-Scholl im Vorwort zur vorliegenden Ausgabe.
Weimarer Republik und danach
Die vorliegende Neuauflage folgt der gleichnamigen, siebenhändigen Ausgabe von 2002, die von einem 2001 erschienen Studienband mit Essay mehrerer Autoren begleitet wurde. Sie enthält 619 Bildmotive "in absoluter Naturtreue ein Zeitbild unserer Zeit", so die Herausgeber. Menschen des 20. Jahrhunderts enthält Photographien, die zwischen 1892 und 1954 entstanden sind. Das Konzept von August Sanders entstand 1925/27 und ist noch erhalten. Als Quelle zur Rekonstruktion des Werks wurde Negativmaterial von 11’000 Werken gesichtet und daraus 2'000 Bilder, die sich "Menschen des 20. Jahrhunderts" zuordnen lassen, ausgewählt. Die Bilder führen auch zyklische Momente, wie über die Jahrzehnte wiederkehrende Lebensphasen und -situationen oder Genrerationsverhältnisse anschaulich vor Augen. "Sie alle sind Typen. Typen nicht einer einzigen Generation, biologisch gesprochen. Wir haben da Alte und Junge. Aber Typen einer Generation von Generationen, historisch gesprochen; Typen einer Epoche. Es ist die Epoche, die für Deutschland auf den Namen `Weimarer Republik" getauft wurde (...).", so die Herausgeber.
Bilder als "Antlitz der Zeit"
Gabriele Conrad-Scholl und Susanne Lange zitieren Golo Mann, Sohn von Thomas Mann und Historiker, in ihrem Essay. Auch andere Schriftsteller. Alfred Döblin bezeichnete die Fotos von Sanders damals als "Antlitz der Zeit": "Wie es eine vergleichende Anatomie gibt, aus der man erst zu einer Auffassung der Natur und der Geschichte der Organe kommt, so hat dieser Photograph [August Sanders] vergleichende Photographie getrieben und hat damit einen wissenschaftlichen Standpunkt oberhalb der Detailphotographie gewonnen".
Die "Psychologie unserer Zeit und unseres Volkes" hat August Sanders berufsspezifisch gegliedert: Bauer, Handwerker, Frau, Stände, Künstler, Großstadt und Die Letzten Menschen VII (Idioten; Kranke Irre). Ein beachtliches Werk, das sich derzeit noch in der Wiener Galerie Westlicht besichtigen lässt: "August Sander, Portrait einer Gesellschaft", 24.03. - 20.05.2018, Westlicht Wien oder in dieser prächtigen Ausgabe des Schirmer Mosel Verlages jederzeit zu besichtigen ist.
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