Bornholm entdecken
Sonnige, lichtreiche Momente schildert der Schriftsteller Birk Meinhardt, wenn er die dänische Ostseeinsel Bornholm porträtiert, die er erstmals im Sommer 1990 erkundet und ins Herz geschlossen hat, anders vielleicht, aber ähnlich als Hans Henny Jahnn, dessen literarische Spuren dem Leser immer wieder in diesem Buch begegnen.
Meinhardt arbeitete lange Zeit in Leipzig als Journalist, als Sportredakteur, und erkundet im Sommer nach dem Mauerfall die dänische Insel, die auch einmal zu Schweden gehört hat. Bornholm wird zu einem Urlaubsziel, einfach so. Warum Bornholm? Vielleicht auch wegen einer Begebenheit im Jahr 1989 wurde das Reiseziel ausgewählt: "Und wir schliefen, schliefen fest, als die Mauer fiel, zuerst am Übergang Bornholmer Straße. Dort drängten sich die Massen, und wir draußen in Köpenick schliefen, wie die Mehrzahl der Bürger, die schlicht nichts mitbekommen hatte. Was sie in den Jahren danach lieber nicht zugab, denn in den Medien kamen einzig und allein die zu Wort, die auf den Beinen gewesen waren; was war man denn für ein Mensch, wenn man nicht zu ihnen, zu den Allgegenwärtigen gehörte, was war man denn für eine Schnarchnase? Am Morgen wussten es natürlich alle. Nur wir waren immer noch ohne Ahnung. Wir wunderten uns bloß, dass die Handwerker nicht kamen." An der Bornholmer Straße also nahm die deutsche Wiedervereinigung ihren Ausgang, und so wurde die Ostseeinsel Meinhardts Reiseziel, zu Dänemark gehörend, das nahe, weite, unbekannte Land, eine "neue Küste". Die Familie Meinhardt entdeckt die Insel für sich, auf der es nicht anders zugeht in der Urlaubszeit als anderswo.
Trotzdem, es geht im Jahr darauf erneut nach Bornholm, die Insel wartet. Meinhardt sieht die weiße Kirche hinter dem Hafen, in dem die Fähre anlegt: "Guck an, die Stadt lag ja auf einem kleinen Berg, und so eine stolze Kirche hatte sie, das war mir beim ersten Mal völlig entgangen. Und dieses Erblicken und Erstaunen setzte sich fort, aber nicht am selben Ort wie damals, nicht oben in Hasle." Familie Meinhardt bucht ihr Quartier in Dueodde, im Süden Bornholms, bekannt für "besonders feinkörnigen Sand". Offenbar ist die Insel eine Liebe auf den zweiten Blick, auch wenn der Sand nicht feinkörnig, sondern wie Mehl erlebt wird, denn es "knirschte auch nicht beim Daringehen": "Es schnurbste und stäubte. Es puderte einem den Spann." Nur wenige erleben und schildern den Sand am Ostseestrand vielleicht so facettenreich, eine Atmosphäre, der "etwas Besinnliches" zu eigen ist. Nichts geschieht, alles wird "wie ein Luftzug fortgeweht, auch das "leichte Erstaunen", das bei flüchtigen Eindrücken, die doch nicht haften bleiben, dem Betrachter immer wieder überkommt.
Die Begegnung mit Literarischem hallt länger nach. Meinhardt entdeckt Hans Henny Jahnn für sich, dessen Roman "Das Holzschiff", der erste Band der Trilogie "Fluss ohne Ufer". Der skeptische Leser, der nicht vom ersten Satz betört sein möchte, von "absichtsverdorbenen" Erzählungen verstimmt ist, erliegt Jahnns Auftakt: "Wie wenn es aus dem Nebel gekommen wäre, so wurde das schöne Schiff plötzlich sichtbar." Meinhardt, der leidenschaftliche Leser, feiert diesen Satz: "Ein Satz wie dieser, und du bist umhüllt von der Geschichte, sanft und fest zugleich, du weißt schon, dass du dich in ihr bewegen wirst wie in kaum einer sonst, ein Wissen ohne Denken ist das, denn du liest ja nahtlos weiter, du bist schon im Sog." Jahnn lebte von 1934 bis 1946 auf Insel, dort dachte, dort schrieb er, und ist Meinhardt gewissermaßen mit dem Schriftsteller unterwegs. Seine Geschichte wird ihm zur "Annäherung an eine Insel" namens Bornholm. Meinhardt schreibt über in den Lüften gleitende Möwen, bemerkt stets den "wundersamen Stillstand" auf Bornholm und fährt, mit der Familie, später nur mit seiner Frau, immer wieder dorthin: "Alles ist erkundet, und sowieso ist Bornholm ein einziger Status quo? Nicht ganz. Etwas geschieht immer. Eine Geschichte geht weiter, und noch eine, und noch eine; je genauer ich die Insel kenne, je heimischer ich mich auf ihr fühle, umso deutlicher spüre ich bei jeder Wiederkehr die Veränderungen, selbst die unterschwelligen." Trotzdem entsteht die Stimmung einer dänischen Ereignislosigkeit beim Leser, die wohltuend und anscheinend sogar facettenreich erlebt werden kann – zumindest von jenen Zeitgenossen, die in Bornholm die Insel ihres Lebens entdeckt haben. Wer mehr oder anderes erwartet, dem könnten die Dörfer, Städtchen und Strände auch ein wenig langweilig erscheinen.
In Birk Meinhardts Buch über Bornholm mag alles Wesentliche über die Insel erzählt sein. Nach der Lektüre mag indessen vielleicht nicht jeder, der die Insel noch nicht kennt, Richtung Dänemark aufbrechen, um Bornholm kennenzulernen. Die Insel wirkt etwas spröde und unauffällig, aber vielleicht liegt gerade darin ihr Charme? Wenn Bornholm über einen insularen Zauber, über ein Geheimnis verfügen sollte, so gibt es Birk Meinhardt in seinem Buch nicht preis.
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