Freuen wir uns auf Weihnachten!
Er wird oft und ausgiebig beklagt: Der Niedergang der Deutschen Sprache. Anglizismen hier, jugendliche Sprachverwilderung im Big Brother-Soziotop da. Die allgemeine Verarmung der Sprache ist keine allzu schwierige Diagnose, es genügt eine halbe Stunde Privatfernsehen pro Tag. Was allerdings schwierig ist, ist die Formulierung dieser Diagnose. Da lauert beispielsweise der bildungsbürgerliche Dünkel oder das elitäre Gehabe. Nicht so bei Max Goldt. Es gibt wohl niemanden in der gegenwärtigen Deutschen Literatur, der eine vergleichbar scharfsinnige und zugleich sehr feine Sprachkritik anbringen kann und die darüber hinaus in einem - man muss es so sagen - vollendeten Deutsch formuliert ist. Man muss hohe Töne anschlagen, wenn es um Goldts Texte geht, denn sie haben die Tendenz sich selbst kleiner zu machen, als sie sind. Gerade weil es so unterhaltsam ist, Goldts Prosastücke zu lesen, vergisst man gerne, wie gut sie geschrieben sind.
Der Sprachkritiker als Unsympath und Volksheld versiegender Minderheiten - so ist der Titel des sprachkritischen Textes aus Goldts neuem Buch. Darin entwirft Goldt auch einen möglichen Erklärungsansatz für die Sprachverarmung: "Zum einen wurde der viel zu rasant vollzogene Übergang von einer christlichen zu einer atheistisch-konsumistischen Gesellschaft nicht verkraftet. Es kann nicht allein mir aufgefallen sein, dass man im Süden des deutschen Sprachraums, wo die Bindung ans Christentum noch stärker ist, flüssiger, präziser und farbiger spricht. Österreichische Jugendliche reden im Vergleich mit ihren Artverwandten aus Berlin geradezu druckreif!" Den zweiten Grund sieht Goldt darin, dass der Wechsel des sozial dominierenden Milieus nicht verkraftet wurde.
Aber keine Angst, solche soziologischen Analysen sind eher die Ausnahme. Meist hält sich Goldt in seinen Prosastücken bei jenen Dingen auf, die zwar unseren Alltag prägen, jedoch meist nicht beachtet werden: Zu grosse Pfeffermühlen, Unterwäsche ("Das süsse Nichts") und Weihnachtsmärkte. Der Witz, der die Texte so lesenwert macht, liegt in Goldts Gabe des freien Assoziierens. Die Versatzstücke des Alltags werden hier rearrangiert, so, dass für den Autor immer genug Platz bleibt, um an ihnen - bildlich gesprochen - seitlich vorbeigehen zu können. Übrigens das "seitlich dran Vorbeigehen" des Titels bezieht sich auf die angesprochenen Weihnachtsmärkte: "Weihnachten ist eine der drei grossen Volksschwächen. Die anderen beiden sind Autos und Fussball. Wer bevorzugt, sich seinen persönlichen Defekten zu widmen und daher schon terminlich Schwierigkeiten hat, an Massenschwächen teilzunehmen, sollte sich aber mit ihnen arrangieren, denn politische Systeme, die die Macht hätten, die Volksschwächen auszurotten, haben den Nachteil, dass sie mit rauchenden Ruinen und Leichenbergen zu enden pflegen. Wir wollen also gar nicht erst damit anfange, leise tickende Taschen auf Weihnachtsmärkten abzustellen, sondern gehen kühl lächelnd geführt von ruhigem, friedlichem Desinteresse, seitlich an ihnen vorbei - und dank der guten baupolizeilichen Bestimmungen in Deutschland ist es ja möglich, seitlich an so ziemlich allem, was hässlich ist, vorbeizugehen!" Wir werden uns an Goldts guten Rat erinnern, sobald es wieder weihnachtet.
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