https://www.rezensionen.ch/marseille/B06VWHPQPY/

Florent-Emilio Siri, Thomas Gilou: Marseille

Marseille - Hauptstadt des Südens

Marseille ist nicht nur die zweitgrößte Stadt Frankreichs (858.120 Einwohner, Großraum Marseille: 3 Millionen), deren Stadtlandschaft besonders von einer Kirche (Notre-Dame de la Garde) auf einem Berg und einem überdimensionierten Fußballstadion (Stade Vélodrome von Notre Dame de la Garde, seit der EM 2016) geprägt ist, sondern auch der Schauplatz einer neuen Krimi-Thriller-Serie von Netflix. Gerard Depardieu spielt darin den koksenden Bürgermeister Robert Taro, der "seine" Stadt an seinen Ziehsohn Lucas Barrès (Benoit Magimel) übergeben möchte, da er glaubt, diesen aus dem Hintergrund ohnehin lenken zu können. Doch da irrt er sich, denn bei der Abstimmung zu seinem Lebenswerk, einem Casino im Hafenbecken Marseilles, fällt ihm sein designierter Nachfolger in den Rücken. Lucas Barrès will sich an seinem Mentor und Förderer rächen. Verrat und Intrige im ganz großen Stil zeichnen sein weiteres Verhalten aus, das auch vor einer Allianz mit der ortsansässigen Mafia nicht zurückschreckt. Für den Weg an die Spitze und die absolute Macht sind Barrès alle Mittel recht.

Freiheit, Gleichheit, Gnadenlosigkeit

Es überrascht dann niemanden mehr, als sich herausstellt, dass Lucas Barrès, der in der Familie von Taro ein gern gesehener Gast ist, tatsächlich der Sohn von Taro selbst ist. Genetik ist stärker als Sozialisation, denn Barrès wuchs zwar bei Pflegeeltern auf, hat aber dieselben Charakterzüge wie der amtierende Bürgermeister Robert Taro. Nicht nur seine Frau, sondern auch seine Tochter stehen auf "Lucas", wie sie ihn liebevoll und stets mit leuchtenden Augen nennen. Denn der Freund ihres Vaters ist so maskulin und macho wie Robert Taro es wohl in jungen Jahren auch einmal war. In "Marseille" geht es also nicht nur um einen Vater-Sohn-Konflikt mit Ödipus-Flair, sondern auch um den Kampf um die Schönste, die schöne Helena des Trojanischen Krieges, die in diesem Fall auf den Namen Julia Taro (Stéphanie Caillard) hört. In sie sind nämlich gleich zwei Jungs der Underclass verliebt, der junge stürmische Eric (Guillaume Arnault) und der coolere Salim (Nassim Si Ahmed). Wie in Romeo & Julia kämpfen sie um die Schöne, bis der Charmantere gewinnt, aber sein Leben dafür verliert. Die Montagues und Capulets in "Marseille" entstammen zwar nicht dem gleichen Rang, aber die Geschichte spielt ja auch nicht in der Spätrenaissance, sondern im 21. Jahrhundert: hier gibt es den Klassenkonflikt, den auch die engagierte Journalistin Julia Taro nicht überwinden kann.

"Marseille - Staffel 1" ist ein interessanter Auftakt zu einem vielversprechenden Narrativ über die zweitgrößte Stadt Frankreichs, die manche schon als Hauptstadt des Südens sehen. Denn anders als in Paris haben die Menschen hier noch viel mehr Leidenschaft und Pfeffer im Blut als man es aus der kühlen "Hauptstadt des Nordens" kennt.


von Juergen Weber - 04. Juni 2017
Marseille
Florent-Emilio Siri (Regie)
Thomas Gilou (Regie)
Marseille

Freiheit, Gleichheit, Gnadenlosigkeit
Polyband 2017
Laufzeit: ca. 326 Min. (8 Episoden)
EAN 4006448766993
Staffel 1