Castle Freeman: Männer mit Erfahrung

Ein moderner Western?

Castle Freemans Roman Männer mit Erfahrung ist vor allem eine Antwort auf die Frage nach dem Umgang mit Terror.

To live outside the law you must be honest: Um außerhalb des Gesetzes zu leben, musst du ehrlich sein: Diese Zeilen entstammen dem Song Absolutely Sweet Marie. Bob Dylan spielte ihn 1966 ein, zu hören ist er auf seinem Album Blonde on Blonde. Dylans Marie ist nicht ehrlich, sie lässt ihn zappeln. Der so Hingehaltene Bob wartet und wartet, kommt ins Gefängnis und wieder heraus, aber nicht frei. Am Ende wartet er noch immer.

In Castle Freemans Roman Männer mit Erfahrung heißt die Protagonistin Lillian. Sie ist die treibende Kraft im Buch, von ihr hängt alles ab, sogar die Handlung. Lillian hat ein Problem. Das heißt Blackway – den Vornamen erfährt man nicht – und droht, ihr Leben zu versauen.

Blackway hat sich eingemischt, ungefragt. Ihren Freund Kevin, an sich sehr souverän,  hat er erniedrigt und am Boden zerstört zurückgelassen. Ihre Katze hat er umgebracht. Jetzt bedroht er sie. Sie könnte weggehen. Das will Lillian nicht, denn ihr bisheriges Leben im wenn auch hinterwäldlerischen Nordosten der USA gefällt ihr. Sie könnte den Kampf mit Blackway aufnehmen. Dazu ist sie allein zu schwach. Darauf, dass Kevin noch einmal hochkommt, kann sie nicht hoffen. Und warten, immer nur warten, will sie auch nicht. Sie hat schon lange genug gewartet.

Lillian geht zu Sheriff Wingate. Auch der hat ein Problem mit Blackway. Einmal hat er ihn hinter Gitter gebracht, aber nur kurz. Dann kam er wieder frei und trieb weiter sein Unwesen. Blackway ist eine Pest, wie sich bald herausstellt, nicht nur für Lillian und Wingate. Fast alle Bewohner des kleinen Ortes in Vermont leiden unter ihm.

Wingate macht Lillian klar, dass er ihr Problem nicht lösen kann. Dazu reichen seine gesetzlichen Mittel nicht aus. Blackway ist ein Terrorist, ein Hai, der weiß, wie weit er gehen darf, um seine Beute zu verfolgen, und wo er aufhören muss, um seine Haut zu retten. Da Blackway aber wirklich eine Pest ist und viele, wenn nicht alle, unter ihm leiden, könnte vielleicht jemand aus der Gemeinschaft helfen.

Tatsächlich finden sich zwei. Nate ist stark, sieht aber aus, als könne er nicht bis drei zählen. Les ist schlau und gerissen, aber schon sehr alt und wirkt leicht gebrechlich. Les zeigt Lillian einen möglichen Weg auf. Er verrät nicht allzu viel von dem Plan, nur dass er illegal ist. Am Ende wird es zum Showdown kommen und entweder das ungleiche Trio oder Blackway draufgehen.

Les bleibt gegenüber Lillian ehrlich. Der naive Nate, auch wenn sich nachher herausstellt, dass er mindestens bis vier zählen kann und womöglich noch wesentlich weiter, ist ohnehin ehrlich. Und Lillian muss sich ehrlich eingestehen, dass es so viele alternative Möglichkeiten nicht gibt. Doch ehrlich sein, das erkennt Lillian bald, reicht nicht. Es reicht nur, um die Probleme zu erkennen. Um sie zu lösen, müssen andere Mittel her. Gewalt beispielsweise.   

Les bleibt gegenüber Lillian jederzeit fair. Sie kann bis kurz vor dem Ende, bis ein gewisser Punkt erreicht ist, aus dem Projekt aussteigen. Sie bleibt die treibende Kraft, auch wenn sie längst nicht mehr alles in der Hand hat. Sie macht sich von Les und Nate abhängig, aber es ist ihre Entscheidung. Und ihre Verantwortung: etwa, wenn Gewalt ins Spiel kommt und eskaliert.

Castle Freeman hat eine wunderbare Parabel geschrieben. Wie weit dürfen wir gehen, um einen Terroristen zu bekämpfen, der sich in unser Leben einmischt, gesellschaftliche Spielregeln nicht anerkennt, andere bedroht, ihnen schadet und nur seinen Vorteil kennt? Stilistisch ist das wunderbar: Der Autor ist ein Meister der Dialoge. Sie bringen die Handlung voran und Spannung in die Geschichte. Und sie sorgen für Reflexion beim Leser.

Zwei Handlungsebenen gibt es: Les, Nate und Lillian verfolgen Blackway und versuchen, ihn zu stellen; der Sheriff und die übrigen Bewohner des Kaffs schauen zu. Doch sie bleiben nicht stumm. Freeman gibt ihnen eine Stimme: Whizzer hat in seinem stillgelegten Sägewerk einen Kreis älterer Männer um sich geschart. Alle haben sich mit ihren gescheiterten Träumen arrangiert und sich irgendwie eingerichtet, in einem ländlichen Amerika, das auf den zweiten Blick so trostlos nicht ist. Wenn nur die Blackways nicht wären, die einen einfach nicht in Ruhe lassen wollen.

Auch formal hat Männer mit Erfahrung einiges zu bieten. Whizzer und seine Kumpels erinnern an den allwissenden Chor in Sophokles' Dramen, der die Handlung für ein imaginäres Publikum kommentiert und erklärt. Bei Freeman kommen die Dialoge in schnoddrigem Alltagsjargon daher, in nicht mehr als ein, zwei Sätzen am Stück. Das hat durchaus seinen Charme.

Das Ende wird hier natürlich nicht verraten. Nur ein Dialog: "Würdest du in einem Land ohne Recht und Gesetz leben wollen?", fragte Wingate. "Tja, vielleicht lieber nicht", sagte Whizzer. "Aber ich sag dir noch was: Ich hätte nichts dagegen, in einem Land ohne Blackway zu leben."

Genau das ist die Crux. Woodie Guthrie, bei dem Bob Dylan sich gerne Inspirationen holte, fasste das Dilemma so zusammen: "Ich liebe einen guten Mann außerhalb des Gesetzes genauso wie ich einen schlechten Mann außerhalb des Gesetzes hasse." Guter Les, böser Blackway? So einfach ist es auch nicht. Das letzte Wort, wir haben es ja mit einem europäischen Gedenktag zu tun, soll ein Österreicher haben. "Es hat alles zwei Seiten", befand Heimito von Doderer in seinem Repertorium genannten Begreifbuch höherer und niederer Lebensdinge, "aber erst wenn man erkennt, dass es drei sind, erfasst man die Sache." 

Männer mit Erfahrung
Dirk van Gunsteren (Übersetzung)
Männer mit Erfahrung
176 Seiten, gebunden
Originalsprache: Englisch
EAN 978-3312006878

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