Paradigmenwechsel in der Erziehung?
Bernhard Bueb, 1938, hat dreissig Jahre lang die Eliteschule Schloss Salem geleitet und gilt als einer der bekanntesten Kritiker des deutschen Erziehungswesens. Auf 174 Seiten zieht er schonungslos Bilanz: "Der Erziehung ist vor Jahrzehnten das Fundament weg gebrochen", hat er erkannt und meint weiter: "der Konsens, wie man Kinder und Jugendliche erziehen soll, ist einem beliebigen, individuell geprägten Erziehungsstil gewichen."
Was hat der Mann zu sagen, der es als "Deutschlands strengster Lehrer" auf die Frontseite der BILD geschafft hat und dessen provokante Thesen in den neuesten Ausgaben renommierter pädagogischer Zeitschriften ausführlich diskutiert werden?
Zunächst zeichnet er ein düsteres Bild von der modernen Jugend, die "ziel- und führungslos durchs Land irrt" und ihren Eltern auf der Nase herumtanzt: "Sie sind umgeben von ungewollt aggressiv präsenten Erziehern: vom Fernsehen, vom plakativen Wohlstand unseres Landes, von den Verführern der Konsumgesellschaft, von den Vorbildern eines geistigen und charakterlichen Mittelmasses, das unsere Eliten repräsentieren." Im Laisser-faire der antiautoritären Erziehung ortet er die Wurzel allen Übels.
Als leuchtendes Gegenbeispiel stellt er Leitbild und Praxis seiner Salem-Schule ins Zentrum; hier hat man noch "Mut zur Erziehung", was eigentlich "Mut zur Disziplin" heisst: "Wir müssen wieder zu der alten Wahrheit zurückkehren, dass nur der den Weg zur Freiheit erfolgreich beschreitet, der bereit ist, sich unterzuordnen, Verzicht zu üben und allmählich zu Selbstdisziplin und zu sich selbst zu finden."
Man würde Bueb nicht gerecht, wann man sein Buch auf einen undifferenzierten Ruf nach mehr Ordnung und Disziplin reduzierte. Unter dem Schiller-Zitat "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt" tritt er geradezu leidenschaftlich für die Aufwertung des Spiels als zentrales Medium der Erziehung ein. Er fordert mehr Zeit für den Sport und für das Theaterspiel und weiss: "Das Spiel weckt die schöpferischen Kräfte." Und wenn er im anschliessenden Kapitel über die Entfaltung von Talenten formuliert, das Geheimnis aller Pädagogik sei es, junge Menschen so zu stärken, dass sie an ihre eigene Begabung glauben lernten, wird ihm niemand ernsthaft widersprechen.
Übrigens: Der Fachbuchverlag Beltz kündigt für den Frühling 07 eine pointierte Gegenrede an: "Vom Missbrauch der Disziplin" soll Buebs Ansichten widerlegen und ein starkes Plädoyer für eine humane Erziehung sein.
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