Der Schriftsteller Leonhard Frank

Leonhard Frank wurde 1882 als viertes Kind eines Schreinergesellen in Würzburg geboren. Er arbeitete als Schlosser, Chauffeur, Anstreicher und Klinikdiener und beschloss eines Tages, Maler zu werden. Stets mit Geldnöten kämpfend, begann er 1904 ein Kunststudium.1910 zog er nach Berlin und entdeckte bald seine erzählerische Begabung. Der erste Roman "Die Räuberbande" wurde mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet. Seine pazifistische Gesinnung, die er auch offen zum Ausdruck brachte, zwang ihn, 1915 in die Schweiz zu fliehen. 1918 erschien dort "Der Mensch ist gut", seine Erzählung gegen den Krieg (heute leider nur noch im Antiquariat erhältlich). Das Buch, es war in Deutschland verboten, wurde in sein Herkunftsland geschmuggelt. Inzwischen war er ein bekannter Autor. Er kehrt 1920 nach Berlin zurück und kostete das Leben ohne materielle Beengungen aus. 1933 ging er abermals ins Exil, diesmal für 17 Jahre. Über Zürich und London gelangte er nach Paris. Aus Frankreich, wo die Emigranten interniert wurden und viele in die Hände der Gestapo fielen, musste er dann auch flüchten und gelangte nach Portugal, von wo aus er in die USA überschiffte. 1950 kehrte er nach Deutschland zurück. Er wurde allerdings wenig begeistert aufgenommen. Mit seinen kritischen Werken war er bei vielen in Ungnade gefallen, so auch in seiner Heimatstadt Würzbug. Hier trug man ihm den Roman "Die Jünger Jesu" nach, in dem er mit den Alt-Nazis der Nachkriegszeit abgerechnet hatte. Die Autobiografie erschien 1952. Sie schildert die Höhen und Tiefen, Hoffnungen und Niederlagen dieses Lebens auf packende Weise. Der Aufbau-Verlag verspricht nicht zuviel: "In einer meisterhaften Mischung aus Pointiertheit und Überschwang gestaltet er die Schicksale seines Doubles Michael Vierkant. Dieser Lebensbericht gehört zu den bleibenden literarischen Selbstzeugnissen und ist eines der grossen Bekenntnisbücher des Jahrhunderts."

Links wo das Herz ist

Falsche Fährten

Steinfurt im Münsterland, Februar, Fastnachtszeit. Man findet die Leiche einer jungen Frau, noch im Tod eine Schönheit. Der Fund ist bizarr, denn die Leiche, bekleidet nur mit einem Unterkleid, steht gegen einen Baum gelehnt, Hand- und Fußstellung als würde sie Tango tanzen. Verletzungen sind keine sichtbar, doch ist der Körper von Eis überzogen und gefroren. Wer ist die Tote? Zunächst glauben Kommissar Rohleff und seine Mitarbeiter, dass es sich bei dem Fund um eine junge Türkin handelt, wird sie doch auch durch die Mutter identifiziert. Aber dann kommen den Ermittlern Zweifel. Kriminalromane mit lokalem Bezug sind allseits beliebt und sprechen für eine Verbundenheit von Leser und Autor zur geografischen Region. Doch auch Ortsfremde lassen sich gern zu einer Lektüre verführen, läßt diese im besten Fall eine Kopfreise zu dem beschriebenen Ort zu. Eva Maaser stammt aus Westfalen und siedelte auch ihre beiden Krimis - sie eröffnete die Reihe mit dem 2000 erschienenen Roman "Das Puppenkind" - dort an. Neben dem Kriminalgenre ist Maaser noch im Feld des historischen Romans tätig, darunter ihr Debüt von 1999 "Der Moorkönig". In "Tango Finale" beschränkt sich der regionale Bezug mehr oder weniger auf ein "name dropping" und führt Leser und Ermittler denn auch für das letzte Drittel nach Berlin. Hier allerdings ist Ortskenntnis und/oder eine gute Recherche ersichtlich und macht aus dem Münsterländer Krimi fast ein Berlin Buch. Nur die Fahrpreise der öffentlichen Verkehrsmittel lassen erkennen, dass das Manuskript schon länger vorlag, denn die Berliner Verkehrsbetriebe scheinen die Preise mit alljährlicher Regelmäßigkeit zu erhöhen. Interessant sind die Charaktere der Ermittler, der Roman kann hier als eine Verhaltensstudie gelesen werden, was ihm gut bekommt. Näher ausgestaltet sind Kommissar Rohleff und Harry Groß. Rohleff muss sich mit seinen späten Vaterfreuden auseinandersetzen. Die Gefühle zum Sohn sind noch gespalten, denn im Vorfeld der Schwangerschaft seiner jungen Frau musste Rohleff einige ärztliche Prozeduren über sich ergehen lassen, da "die Qualität seines Spermas zu wünschen übrigließ". Seine Unausgegorenheit wirkt sich auch im Verhältnis zu dem Kollegen Groß von der Spurensicherung aus. Seit Rohleff mit einem weiteren Kollegen Harry Groß zu Hause aufsuchte, gärt die Gerüchteküche: "Harry Groß benutzte Taschentücher mit eingesticktem Monogramm, keine Papiertücher wie gewöhnliche Leute, das paßte zu einem Mann mit einer Vorliebe für englischen oder schottischen Tweed, aber paßte es zu einem, der sich zu Hause ausschweifend in schwere Seide hüllte, auf der ein rotgoldener Drache prangte? Rohleff wunderte sich im stillen, allerdings kannte er sich mit Männer von Harrys sexueller Fraktion wenig aus." Wer hier, schon zu Beginn des Romans, entlarvt wird, ist Rohleff und nicht Harry Groß. Rohleff versteht nur den Einheitsmenschen, aber nicht den, der aus dem allgemeinen Schema herausfällt. Harry Groß ist ein Kulturmensch mit Sinn für Ästhetik, für die schönen Dinge im Leben. Dies reicht aus Rohleff zu verunsichern und in Groß einen Homosexuellen zu sehen. Den Vorurteilen sind Tür und Tor geöffnet. Zu Rohleffs und seiner Kollegen vagen Entschuldigung kann angemerkt werden, dass Groß sich in dem Fall der schönen Toten merkwürdig verhält und damit Rohleffs Haltung bestärkt. Harry Groß kannte die Tote, war ihrer Anziehung erlegen, plagt sich aber mit Erinnerungslücken betreffend den Nachmittag an dem er sie aufsuchte. Die Verwicklung ist ihm peinlich und am liebsten würde er den Fall schnell alleine klären, er weiß auch, er würde zu den Verdächtigen zählen, wenn er jetzt seine Bekanntschaft mit der Toten öffentlich machte. So agieren Rohleff und Groß nebeneinander, schleichen umeinander herum wie zwei kampfbereite Raubkatzen, von Verdächtigungen, Vorurteilen und Verletzungen geplagt. Erst nachdem der Fall gelöst und der Vorgesetzte mit sich im Reinen ist, kommen die beiden Ermittler sich wieder näher und man kann annehmen, dass beide etwas über sich und den anderen erfahren haben, was die zukünftige gemeinsame Arbeit positiv beeinflussen wird.

Tango finale

Aus Berlins Alltag

Wladimir Kaminer, 1967 in Moskau geboren und 1990 nach Deutschland gekommen, erzählt in seinem ersten Buch Geschichten aus Berlins Alltag. In wenigen Worten schildert er Groteskes, Witziges, Tragisches, Unglaubwürdiges, Glaubwürdiges, ganz Normales und Persönliches. Hat man die erste Geschichte gelesen, denkt man: "Die nächste les ich auch grad noch." So geht's dann weiter mit der zweiten, dritten, vierten und fünften und wenn man dann nicht irgendwas Dringendes vorhat, liest man einfach weiter bis zum Schluss. Langweilig wird's bestimmt nicht, schon gar nicht umständlich oder anstrengend. Kaminers Sprache ist bestechend einfach und bringt den Humor des Unspektakulären rüber, ohne in ermüdenden Zynismus zu verfallen. Gewisse Pauschalisierungen von Volksgruppen erscheinen nicht als Diskriminierungen sondern als liebevolle Ironie gegenüber den Figuren. Kaminer ist wohl jemand, der auch über sich selber lachen kann. Sein Buch ist auf jeden Fall zu empfehlen!

Russendisko

Lachen und Weinen liegen beieinander

"Eine Liebe im Exil" ist der Untertitel dieses Buches der Journalistin Barbara Esser. Sie erzählt einen Teil der Lebensgeschichte der heute 87-jährigen Ilse Tysch und ihres Mannes, dem Librettisten Salomon Tisch. Esser rekonstruierte und recherchierte die Geschichte ihrer Großcousine Ilse. Der Wunsch diese Geschichte öffentlich zu erzählen, entstand für die Autorin aus dem Empfinden der Dramatik um diese beiden Leben. Eine Dramatik, die mit der Machtübernahme der Nazis begann. Ilse Löhnhardt verlebte ihre Kindheit in geborgenen Verhältnissen in Böhmen. Ihre Lebenspläne, ein Medizinstudium, zerplatzen wie eine Seifenblase mit dem Machtantritt Hitlers in Deutschland und 1938 verläßt Ilse Aussig in Richtung Dublin. Ihre Eltern sollte sie nie mehr wiedersehen. Salomon Tisch war Anwalt, doch seine Neigung galt der Musik und der Sprache, er begann Libretti zu schreiben und suchte die Bekanntschaft zu Komponisten und Librettisten. Nach dem Anschluss Österreichs kommt Tisch in das Lager Dachau, dann Buchenwald, er überlebt acht Monate Lager und erreicht schließlich nach einer überstandenen Typhusinfektion Großbritannien. Hier lernen Ilse Löhnhardt und Salo Tisch, der sich dann Fred S. Tisch nennen wird, sich kennen. Was diesen Bericht interessant macht ist, ist die Sichtweise und das Motiv des Nichtaufgebens, des starken Überlebenswillens. In der Regel kennen wir Berichte aus den besetzten Gebieten über die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten. Hier aber wird aus der Sicht der Emigranten aus dem Exil heraus berichtet. Zunächst über die Veränderungen in der Heimat, den immensen Schwierigkeiten, die auswanderungswilligen Juden gemacht wurden, - nicht nur von den Nazis selbst, sondern auch durch die Aufnahmeländer. Bis man ein Visum erhalten hatte, war es oft schon zu spät für eine Ausreise, weil Fristen abgelaufen waren oder kein Geld mehr vorhanden. War die Auswanderung trotz allem geglückt, bedeutete dies nicht, dass man sein Leben einfach weiterleben konnte. Neben den Existenzsorgen blieb die Sorge um die zurückgebliebenen Angehörigen. Einfach zu ertragen waren auch nicht die Anfeindungen im Einwanderungsland, die harmloseste Version waren dabei wohl noch die Benimmregeln, die Großbritannien jedem Flüchtling in die Hand drückte. Man sollte weder Deutsch sprechen noch deutsche Zeitungen lesen, vermeiden über Verhalten oder Kleidung aufzufallen, sich nicht politisch betätigen. Schwerwiegender war da schon die Einteilung in "feindliche" und "freundliche" Ausländer und die Internierungen nach dem Kriegsausbruch. So ist es kein Wunder, dass manche Emigranten Zuflucht in der Religionsausübung suchten und das Heimatgefühl sich über das Essen definierte. Wer es sich leisten konnte, inserierte nach einer böhmischen Köchin. Des weiteren bemüht sich dieses Buch den Umgang der Nazis mit der Unterhaltungsmusik zu zeigen. Neben der Taktik der jüdischen Künstler über Strohmänner zu arbeiten, wurde die Musik von den Nazis regelrecht "entjudet". Libretti wurden plagiiert und umgeschrieben. So auch der größte Bühnenerfolg des Teams Tisch/Lengsfelder "Warum lügst du, Chérie?", dessen Textbuch als "Lüg nicht, Baby" in einer "entjudeten" Fassung im selben Verlag, auch dieser arisiert, erschienen war. Die Handlung wurde nach Schottland verlegt und "das Lied, in dem Tisch und Lengsfelder die Vorzüge des Junggesellendaseins loben, zugunsten einer Ode an die Ehe mit einer Frau "von Rasse' ausgetauscht." Eine Farce der Geschichte ist, dass der Komponist Ende der 50er Jahre Aufsichtsratsvorsitzender der GEMA wurde. Zu Recht fragt Ilse Tysch/Esser: "Ob er wohl wusste, dass die Urheber des Stückes "Warum lügst du, Chérie?" Juden waren, die man um ihre Rechte betrogen hatte?" Auch stilistisch handelt es sich um ein Buch der Erinnerungen. Vergangenheit und Gegenwart wechseln, bedingen sich gegenseitig in den Gedankengängen. Am stärksten ist der Text, wenn er in einfachen, schlichten Sätzen Fakten, wie zur Erschießung der 1000 Menschen aus Wien im litauischen Kaunas, wiedergibt, ohne sie weiter zu kommentieren: "Fred hat nie erfahren, dass seine Eltern unter diesen Toten waren". Barbara Esser musste die mündlichen Erzählungen ihrer Großcousine in Text umsetzen und verifizieren, eine nicht immer leichte Übung. Jedes Kapitel wurde mit Ilse Tysch ausgetauscht und per Email bearbeitet. Faszinierend für die junge Journalistin war die Erfahrung des "unter Tränen lachen" können, dieses Operettenmotiv, welches die jüdischen Emigranten praktizierten. Das Buch wendet sich nicht nur an die Alten zur Erinnerung, es will auch helfen, den Jungen diese Zeit verständlich zu machen.

Sag beim Abschied leise Servus

Tradition und moderne Zivilisation

Gacel Sayah lebt mit seiner Familie, seinen Sklaven und seinem Vieh in der Wüste, wie es die Tuareg schon vor Jahrhunderten taten. Abseits jeder Zivilisation ist er Herrscher über sein kleines Reich, das ihm niemand streitig macht. Obwohl die glorreichen Zeiten der Tuareg vorbei sind, ist Gacel stolz, zu den "Männern mit dem Schleier" zu gehören. Nichts könnte ihn je davon abbringen, seine Lebensweise aufzugeben und sich der Zivilisation anzuschliessen. Für die Tuareg existieren weder Landesgrenzen noch geschriebene Gesetze. Sie orientieren sich an den uralten überlieferten Gesetzen ihres Volkes. Eine solches Gesetz, die Heiligkeit der Gastfreundschaft, wird eines Tages auf krasse Weise verletzt: Gacel hatte zwei fast verdurstete Gestalten in sein Zelt aufgenommen und aufgepeppelt. Schnell wurde klar, dass die beiden auf der Flucht waren, denn es tauchte bald ein kleiner Militärtrupp auf. Der eine Gast wurde einfach erschossen, der andere verschleppt. Gacels Stolz konnte es nicht zulassen, dass dieses heiligste Gesetz der Wüste auf so arrogante Weise mit den Füssen getreten wurde, er musste Rache üben. Er zog, seine Familie zurücklassend, in die Wüste, um einerseits diese Tat zu rächen und andererseits seinen Gast zu beschützen, wie es die Tradition von ihm verlangt. Das Buch beschreibt die Geschichte dieses Rachefeldzuges. Es ist ein flüssig zu lesender, spannender Roman über das Zusammenprallen der althergebrachten Traditionen der Wüstenbewohner mit der modernen Zivilisation. Die Figuren wirken authentisch und die Landschaft wird dank der bildreichen Sprache spührbar. Ein Buch zum mitfiebern! Der Schluss ist (nach meinem Geschmack) etwas zu melodramatisch ausgefallen.

Tuareg