Nestor Burma ermittelt anders
Der wohl sympathischste aller Privatdetektive, Nestor Burma, gilt unter den Anhängern des Krimi-Genres schon seit langem als Kultfigur und hat wohl so manchen Schauspieler oder auch Regisseur zu seiner Performance inspiriert. In vorliegender Neuauflage des Zweitausendeins Verlages werden insgesamt 10 Fälle des Pfeife schmauchenden Detektivs und seiner Agentur "Fiat Lux" neu aufgerollt und in einer Gesamtausgabe mit mehr als 1100 Seiten herausgegeben. Den Leser dürfte dabei vor allem interessieren, um welche Arrondissements es sich handelt, da jeder einzelne Fall des Nestor Burma in einem anderen Pariser Viertel spielt. In dieser Ausgabe die Fälle 1.-3. Arr., 6., 10. und 12.-16. Arrondissement.
Der Autor scheut nicht davor zurück, auch in seinen Geschichten, seine Vorbilder zu nennen, etwa wenn er die Figur Radek aus George Simenons "Der Kopf eines Mannes" zitiert. In die "Nächte von St. Germain" hat Nestor Burma alle Hände voll zu tun und hält fast mehr seinen Revolver als seine "gute alte Freundin mit dem Stierkopf" (seine Pfeife) in der Hand. Der Schmuck einer alten Dame im Wert von 130 Millionen alter Francs wird nämlich gestohlen und die Versicherungsgesellschaft beauftragt Nestor Burma, Licht in die dunkle Affäre zu bringen, zumal sie ja das Geld der alten Dame nicht auszahlen, sondern lieber einen Privatdetektiv mit einem 100stel davon abfinden möchte. Am Ende kommt es gar im Wohnzimmer des vermeintlichen Schriftstellers, der Eintagsfliege Germain St.-Germain, zu einem Dreierduell, fast wie in einem der berühmtesten Western von Sergio Leone.
Was unterscheidet nun den Leo Malet`schen Privatdetektiv von den anderen seiner Kollegen? Zum Beispiel, dass er statt wie seine amerikanischen Kollegen allein zu Hause vor einem Glas Whisky zu sinnieren, lieber in ein Bistro geht und mit der Kellnerin anbandelt, oder gerne mal einen Gedichtband zur Hand nimmt, um auf neue Einfälle zur Lösung seines Falls zu kommen. Nestor Burma arbeitet wie ein Profi, hinterlässt keine Spuren und deckt am Ende alle seine Fälle auf, denn auch er selbst will seine vielen Fragen beantwortet wissen. Aber auch diese Gedanken machen ihn nicht nur als Privatdetektiv, sondern auch als Privatperson ganz besonders sympathisch: "Ich verspürte ein riesiges Verlangen, alleine zu sein. Ich ging nach Hause, setzte mich in einen Sessel, zündete mir die Pfeife an und stellte eine Flasche Panthermilch vor meine Nase." Wobei nicht ganz klar ist, worum es sich genau bei der Panthermilch handelt? Jedenfalls nicht um amerikanischen Whisky, oder?
Eigentlich macht Nestor Burma seinen Job ja einfach gerne und nicht des schnöden Mammons willen. Dabei lässt er so manchen zynischen Kalauer im Vorübergehen fallen: "`Vox populi, vox populi", schrie die Menge, als rief sie dabei einen Mieter dieses Namens aus der Nachbarschaft." An einer anderen Stelle weiß er selbst den Hl. Antonius, der denen hilft, die etwas verloren haben, für sich einzuspannen: "Der Heilige Antonius von Padua, dessen Fest heute gefeiert wurde, lässt Nestor Burma immer die Leichen finden, die er so nötig hat wie Sauerstoff", schreibt Leo Malet, und weiter: "Verdammt noch mal, lieber Antonius! Entschuldige, aber auf diese hier hätte ich gut verzichten können!"
Überaus authentisch wird von Malet auch die Pariser Nachtclubszene (das "Höhlenphänomen") nach Ende des Krieges geschildert, die meisten seiner Burma-Romane stammen ja aus den Fünfziger Jahren und so manche Keller-Jazzkneipe oder Sartre`s Café Flore werden ebenso ins Rampenlicht gestellt, wie zeitweilig der Existentialismus oder die Alkohol- und Rauschgiftexzesse der Nachkriegszeit in denselben. Besonders amüsant zu lesen sind natürlich die trockenen Sprüche, die unser Held oder seine Gesprächspartner von sich geben. In einer Kneipe etwa verrät Burma ein Informant: "Tintin gefällt sich darin, aus dem letzten Loch zu pfeifen. Ausgelutscht wie `ne Zitrone. Das sag ich dir als Limonadenverkäufer, und ich glaub, ich täusch mich nicht." "Faire tintin" bedeutet zudem "in die Röhre gucken", wie man im Anhang erfährt. Aber nicht nur diese sprachlichen Details und Malets Witz, sondern besonders auch die Art, wie er seine Charaktere zeichnet ist, bemerkenswert und phänomenal, und das nicht nur, wenn es dabei um seinen Protagonisten geht.
Nestor Burma verfällt hie und da auch dem Suff, gerade dann, wenn er es am wenigsten gebrauchen kann. "Ganz schön blöd von mir mich vor einer kniffligen Aufgabe meinem Hang zum Suff nachzugeben", sagt er und nimmt sich vor - später - mit schwarzem Kaffee alles wieder in Ordnung zu bringen. Dabei hat Burma eigentlich eine ziemlich hohe Arbeitsmoral, wie seine Eigendefinition vermuten lässt: "Bedaure. Aber ich muss immer alles ganz genau wissen. Ich betrachte eine Sache erst als abgeschlossen, wenn ich auf alle Fragen eine Antwort habe." Oder auch: "Bestimmt. Bei mir klärt sich am Ende immer alles auf." Wenn man einen "Schnüffler" sucht, der auch mal zwischendurch Charles Baudelaire ("Der Reiz des Schreckens berauscht nur die Starken.") zitiert, bevor er einen Verdächtigen überführt, ist man bei Burma genau an der richtigen Adresse. Vielleicht hat er sein eigentliches Berufsziel, Dichter, verfehlt? "Ich bin Privatdetektiv geworden, so etwa wie andere Leute Dichter werden. Nur dass ich Aktenordner im Regal hab und keine Gedichtbände. Ich bin Einzelkämpfer. Leb von der Hand in den Mund. Keiner hilft mir, oder fast keiner." Diese "fast keiner" sind bevorzugt brünette Struwwelköpfe wie Fräulein Marcelle oder seine Privatsekretärin Helene, aber auch sonst hat Burma einige Bekannte im Milieu, die ihm noch den einen oder anderen Gefallen schulden. Dass Nestor Burma mit seinen Sprüchen und seinem trockenen Humor, so manchen Schriftsteller beim Mitschreiben in Atem hält, dafür bürgen auch solch` illustre Gedanken wie dieser: "Einige Paare stürmten sofort auf die Tanzfläche aus gestampftem Lehmboden und gaben mir Junggesellen eine Vorstellung von Ehekrach." Oder noch besser: "Es gibt so Tage, an denen bläst die Trübsal den Zapfenstreich." Wie recht er doch hat, dieser Burma!
Abgesehen davon, dass die Geschichten amüsant zu lesen sind und über genau die richtige Dosis schwarzen Humors verfügen, sind sie auch noch topmodern. Wer hätte etwa gedacht, dass man in einem Krimi aus den Fünfzigern auf die Wahl einer "Miss Müll" stoßen würde, oder so saloppe Sprüche lesen würde wie "Je hais les tours de Saint-Sulpice/Quand je les recontre/je pisse/contre." Eigentlich sollte man alle seine Geschichten im Original lesen, aber wessen Französisch nicht ausreicht, wird mit dieser Übersetzung von Peter Stephan ohnehin sehr zufrieden sein, zumal dieser am Ende jeder Geschichte noch ein paar erklärende Anmerkungen hinzugefügt hat und die einzelnen Arrondissements in den 80ern noch einmal persönlich abgegangen ist, um sich davon zu überzeugen, wie viel von Leo Malets Paris übrig geblieben ist.
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