La Dolce Vita
61 Jahre und immer noch in der Liste der meist gesehenen Film Italiens. Laut movieplayer.it ist La Dolce Vita mit 13'617'148 Zusehern auf Platz 6 der meistgesehenen Filme (1950 bis 2016). Als der Film 1960 herauskam, musste er sich den Vorwurf des Bolschewismus gefallen lassen. Denn Fellini zeigt die "Noia" der römischen Oberschicht in allen grausamen Einzelheiten und Details. Die vorliegende Ausgabe von Studiocanal erscheint inklusive der neuen 83-minütigen Dokumentation "The Truth about La Dolce Vita" (2020) mit Archivaufnahmen von Fellini und dem Cast während der Produktion von La Dolce Vita, die 2020 auf den Filmfestspielen in Venedig Premiere feierte.
Das süße Leben im Rom der 50er
Im Mittelpunkt seines Jahrhundertwerks steht aber Marcello Rubini (Marcello Mastroianni), ein Journalist, der Ambitionen zum Schriftsteller hat, aber sich dafür viel zu sehr treiben lässt. Denn das "süße Leben", der Lifestyle der Reichen und Schönen kann schön ansteckend sein, so sinnentleert er auch ist. Bald erkennt Marcello, dass das von ihm angestrebte Leben der High Society eine Welt des Scheins und der Vergänglichkeit ist und zudem nicht vor großen Tragödien (Selbstmord, Alkoholismus, Exhibitionismus) bewahrt. Der Film zeigt aber auch den schädlichen Einfluss der Boulevardpresse auf die demokratische Öffentlichkeit. Exemplarisch dafür stehen die vielen Paparazzi, die im Film vorkommen und das Auf-die-Spitze-treiben, was später einer gewissen Lady Di zum Verhängnis wurde. In "La Dolce Vita" ist die Frau von Herrn Steiner, der Selbstmord begangen hat, die Leidtragende. Noch bevor ihr der die Untersuchung leitende Kriminalkommissar die traurige Nachricht mitteilen kann, wird sie schon von einem Dutzend Fotografen abgelichtet und fühlt sich wie eine berühmte Filmschauspielerin, ohne dafür etwas getan zu haben. Sie lächelt und ist frohen Mutes, bis sie in das Auto des Kriminalers einsteigt und die bittere Wahrheit erfährt. Die Verrohung der Sitten durch die Paparazzi ist aber nur eine kritische Episode in dem mehr als vier Stunden langen Film, der das zeigt, was viele nicht sehen wollen: es gibt da eine Kaste, die sich auf Kosten der Mehrheit amüsiert und sich dabei auch noch zu Tode langweilt.
Gesellschaftskritik durch Neorealismus
Zudem ist die Szene mit Anita Ekberg, die in den Trevi-Brunnen steigt, von den rechten Sittenwächtern skandalisiert worden, dabei dauert sie im Verhältnis zur dreistündigen Endfassung des Films gerade einmal fünf Minuten. Sowohl die politische Recht als auch die Linke versuchten in Folge den Film für sich zu instrumentalisieren, obwohl Fellini eigentlich nichts anderes gemacht hatte, als zu dokumentieren. Aber wahrscheinlich verhalf gerade die Skandalisierung des Films ihm zu seinem Erfolg. Das war wohl die zweite Lektion in Medienkunde, die 1960 schon relativ früh zu lernen war. Die damals 29-jährige Anita Ekberg wurde zum Sexsymbol der 1960er Jahre und als Urbild der Weiblichkeit interpretiert. Aber auch Nico, die deutsche Hünin, die später bei Velvet Underground einsprang, spielt eine Rolle in La Dolce Vita. Ebenso natürlich Adriano Celentano, der als Sänger in einer kleinen Szene einen seiner ersten Auftritte bekam. Bemerkenswert ist auch die ambivalente Rolle des Lead Characters Marcello. Denn einerseits hat seine Verlobte gerade einen Selbstmordversuch hinter sich, andererseits rettet er sie davor, um ihr dann wieder ihre Dummheit vorzuwerfen und seine eigenen Frauengeschichten zu rechtfertigen. Auch dieser Dialog, nächtens auf einer Landstraße gedreht, schrieb Geschichte: "Sei un verme, un miserabile! Tu finirai solo come un cane!", meint Emma (Yvonne Furneaux) auf Marcello's unerwiderte Liebe. Marcello antwortet ebenso aufgebracht: "Di te. Del tuo egoismo. Dello squallore desolante dei tuoi ideali. Non lo vedi che quello che mi proponi è una vita da lombrico, non sai parlare d'altro che di cucine e di camere da letto! Ma un uomo che accetta di vivere così, lo capisci che è un uomo finito?! È veramente un verme! Io non ci credo a questo tuo amore aggressivo, vischioso, materno: non lo voglio, non mi serve! Questo non è amore, è abbrutimento! Come te lo devo dire che non posso vivere così?! Che non ci voglio più stare con te?! Voglio star solo!"
Die Folgen von La Dolce Vita
Die "Dokumentation" in den Extras ist eigentlich ein einhalbstündiger Film über die Produktionsbedingungen von La Dolce Vita. Fellini hatte zwar bereits zwei Oscar-Gewinne eingestreut, stand 1958 jedoch vor der Herausforderung, sich sein nächstes Projekt finanzieren und produzieren zu lassen. Außer dem Filmproduzenten Giuseppe Amato, der sich sogar eigens den Segens eines katholischen Priesters einholte, war niemand bereit, ein vierstündiges Werk zu übernehmen. Amato überwarf sich mit seinem langjährigen Partner und Verleiher Rizzoli, der den Film nicht veröffentlichen wollte. Giuseppe Pedersolis Doku-Drama blickt 60 Jahre nach Entstehung anhand von nie zuvor veröffentlichten Briefen zwischen Fellini, Amato und Rizzoli, Verträgen und Produktionsunterlagen hinter die Kulissen von La Dolce Vita und erzählt die Entstehungsgeschichte des Klassikers. Die Liste der Filme, die von La Dolce Vita inspiriert wurden, reicht von Woody Allens "Celebrity" über Scheidung auf italienisch (1961) bis Sofia Coppolas "Lost in Translation" (2003) und "La Grande Bellezza – Die große Schönheit" (2013) von Paolo Sorrentino. Selbst Bob Dylan erwähnt in seinem 1964 erschienenen Song "Motorpsycho Nightmare" eine Rita, die aussah, als wäre sie aus La Dolce Vita entstiegen. Und so wurde La Dolce Vita nicht mehr nur als Film wahrgenommen, sondern auch als Inbegriff für einen bestimmten, dekadenten Lebensstil, der bald nicht mehr nur der Oberschicht vorbehalten blieb.
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