Mehr Seele in der Architektur
Schauen wir uns um: Viele moderne Stadtlandschaften ähneln sich immer mehr. Anonyme Hochhäuser, sterile Fassaden, endlose Betonlandschaften und eintönige Wohnsiedlungen prägen das Bild. Kaninchenstallartige Wohneinheiten werden aufeinander gestellt und fertig ist das Wohnhaus. Dann noch ein paar mickrige, gleichartige Bäumchen zwischen die Häuser gestreut und fertig ist das neue Wohngebiet, womöglich wenigstens verkehrsberuhigt, aber irgendwie tot. Es scheint, als ob eine standardisierte Vorstellung von Ästhetik und Effizienz die Kreativität und Individualität in der Architektur erstickt hat. Die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen, die in diesen Räumen leben, werden allenfalls schablonenhaft berücksichtigt, Raum für Individualität, ja Chaos, gibt es nicht. Stattdessen werden immer mehr uninspirierte Strukturen errichtet, die nur den Normen und wirtschaftlichen Zwängen folgen.
Der Hauptgrund für diese Entwicklung liegt wohl in den wirtschaftlichen und politischen Kräften, die unsere Städte formen. Der Drang nach wirtschaftlichem Wachstum hat zu einem raschen Urbanisierungsprozess geführt. Städte werden als Wirtschaftszentren betrachtet, in denen Effizienz und Profitabilität an erster Stelle stehen. Als Reaktion darauf wurden Architektur und Stadtplanung auf die Optimierung von Flächen und Kostenreduktion ausgerichtet. Die Individualität der Menschen und ihre Bedürfnisse werden dabei oft vernachlässigt. Real Estate ist das neue Eldorado für Investoren, Verdichtung das neue Zauberwort.
Hinzu kommt der Einfluss von Normen und Vorschriften. Sie dienen zwar dem Schutz, der Sicherheit und des Wohlbefindens der Menschen, können jedoch auch dazu führen, dass Kreativität und innovative Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Diese Normen haben oft eine uniformierende Wirkung und fördern eine "Einheitsarchitektur", die dem Wesen der Städte nicht gerecht wird. Wo bleibt der Dreck, das Urwüchsige, Unvollkommene, das Schräge, das Eklige, das seine Gerüche um die Ecke schickt? Auch das war einmal Stadt, Leben und gehört eigentlich zu uns Menschen.
Denkanstösse wie diese gibt das Buch "Kunst Bau Punk - Impulse zur Beseelung aktueller Architektur". Christian Heuchel, Architekt aus Köln sowie Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, und Daniel Khafif, Autor, Journalist, und Dozent, gehen in kurzen Texten auf die Themen ein, mit denen sich ein Architekt beschäftigt, der sich nicht nur als Erfüllungsgehilfe für Normen, Raumnutzungsoptimierung und Gewinnmaximierung verstehen will, in 32 Kapiteln von A bis Z mit vielversprechenden Titeln wie "Du liebst mich nicht, du liebst mich einfach nicht", "Im Innern des Schädels", "Jemand da?", "Schlafkammer", "Tisch des Architekten" oder "Wunderkammer". Die Autoren nennen die Texte Gespräche. Gespräche "mit meinem Alter Ego, der Puppe Van Heuchel, ganz frei über die Themen, die uns interessieren", so Heuchel. Der Ansatz mit der Puppe, ein bisschen creepy, aber nicht willkürlich. Wieso die Puppe als Bezugspunkt? Gedanken zur Beseelung im Gespräch mit einer seelenlosen Puppe? Eine Erklärung wird zwar geliefert, aber wirklich verstehen muss man die nicht, etwas Irritation und Schrägheit sollen sein, eben auch in der Architektur. Zitate aus dem Buch:
"Der Architekt hat die Aufgabe, den Bauherren vor seinen eigenen Wünschen und wahnsinnigen Entscheidungen zu schützen."
"Wenn ich heute zu einem grossen Konzert ins Stadion gehe und eine bekannte Band besuche, frage ich mich oft: Was ist das für ein einstudierter seelenloser Mist geworden? Nichts Authentisches mehr - und Spontaneität fehlt komplett."
"Wir brauchen wieder mehr von diesen aufgelassenen Räumen. Wir brauchen mehr von der Möglichkeit, schön verfallen zu können."
"Heute dagegen sind aus Bauten Produkte geworden, die mehrfach gehandelt werden, bevor ein Fonds sie in Besitz nimmt. Billig darf es sein, gerne mit Rendite - das sind die geltenden Bewertungsmassstäbe."
"Die Perfektion der Maschine ist uninteressant."
Das Buch bewegt sich zwischen Kunst und Architektur und eröffnet eine neue Perspektive auf die Möglichkeiten und Herausforderungen der modernen Architektur in einer von Normierung und Gewinnorientierung dominierten Welt. Es erinnert uns daran, dass Architektur nicht nur ein Produkt ist, sondern dass sie eine Quelle der Inspiration und Kreativität sein kann.
Durch seine durchaus irritierende und schräge Herangehensweise schafft das Buch einen Raum für neue Ideen und öffnet die Tür zu einer Architektur, die nicht nur funktional und effizient ist, sondern auch die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen berücksichtigt. Es fordert uns auf, den Status quo infrage zu stellen und uns für eine Architektur einzusetzen, die die Seele der Städte bewahrt.
Veranstaltungshinweis
Samstag, 10. Juni 2023, 17 Uhr
Architektur, Stadt, Geschichten
Buchvorstellung KUNST BAU PUNK – derarchitektmitderpuppe
Performative Lesung mit den Autoren
Christian Heuchel (Architekt) & Daniel Khafif (Herausgeber)
Kurt-Kurt | Lübecker Str. 13 | 10559 Berlin | www.kurt-kurt.de
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