https://www.rezensionen.ch/kuenstlergruppe_bruecke/3791333062/

Magdalena M. Moeller: Künstlergruppe Brücke

Die Hauptwerke und Geschichte der Künstlergruppe "Brücke"

Dieser ansprechend aufgemachte Band von Magdalena Moeller gibt einen Überblick über die wichtigsten Werke der Künstlergruppe "Brücke" aus der Zeit zwischen 1905 und 1914. Vor allem das Schaffen der Mitglieder Ernst-Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein wird ausführlich dokumentiert. Von Emil Nolde, der nur kurze Zeit Mitglied der Künstlergruppe war, ist nur ein Werk großformatig abgebildet, von Otto Mueller, der künstlerisch einen von seinen Kollegen sehr unterschiedenen Weg beschritt, sind es zwei.

Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Im ersten, nur mit kleinformatigen Abbildungen illustrierten Teil, erhält der Leser auf etwa 30 Seiten Text einen Überblick über die Geschichte der Gruppe von ihrer Gründung bis kurz vor dem ersten Weltkrieg. Die "Brücke" war eine Künstlergemeinschaft, deren Mitglieder beinahe eine Dekade lang ungewöhnlich eng zusammenarbeiteten und sich beeinflussten. Dies zeigt sich am "Kollektivstil" der ersten gemeinsamen Jahre in Dresden (S. 21), der die Werke der Künstler für Laien manchmal schwer unterscheidbar macht mit ihren intensiven Farben und schwarzen Konturen. Der deutsche Expressionismus wurde also ganz wesentlich "in der Provinz" geboren, nicht in der Metropole Berlin. "Es waren die Jahre des Aufbruchs, der Entwicklung einer neuartigen, starkfarbigen Bildsprache, die bis heute nichts von ihrer Faszination und Ausstrahlung verloren hat." (S. 21) Max Pechstein lebte und arbeitete ab 1908 in Berlin, Mueller, Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff endgültig ab 1911. Die vielfältigen Einflüsse der Großstadt beendeten die Zeit intensiven gemeinsamen Schaffens. Jeder fand hier seinen individuellen, reifen Stil, wobei sich Kirchner am intensivsten - und als erster deutscher Künstler - auch malerisch mit dem großstädtischen Leben auseinandersetzte. "Ihm gelingt eine einzigartige Ausdruckssteigerung, eine Intensität und Dichte der Aussage, wie sie danach nie wieder erreicht worden ist." (S. 30) Am 27. Mai 1913 wurde die "Brücke" offiziell nach heftigem Streit aufgelöst, was aber letztlich die Konsequenz der unterschiedlichen Wege war, welche die Künstler in Berlin eingeschlagen hatten.

Im Tafelteil finden sich ganzseitige Abbildungen, von denen viele einzeln besprochen sind. Er ist in vier Zeitabschnitte gegliedert. Die Periode 1905 bis 1908 ist überschrieben mit "Auf der Suche nach dem Neuen" und zeigt die Aufbruchstimmung, die diese Gründungsphase kennzeichnete. Die Arbeit von Heckel, Kirchner, Schmidt-Rottluff und Pechstein ist stark von van Gogh beeinflusst. Auch eines der bekannten Blumenbilder von Emil Nolde, "Rote und gelbe Rosen" von 1907 lässt den Einfluss des Niederländers erkennen. Bei Erich Heckel ist ab 1908 ein Abgehen von der kleinteiligen Pinselstruktur, wie sie für van Gogh kennzeichnend ist, zu beobachten; er setzt nun vibrierende Farbbahnen und -felder ein. Max Pechstein zeigt sich durch einen Aufenthalt in Paris beeinflusst von den "Fauves". Während aus dieser ersten Periode das Thema "Landschaft" bei den reproduzierten Bildern dominiert, ist es in der zweiten, mit "Durchbruch zum Expressionismus" überschriebenen, der Akt. Hier erkennt man am deutlichsten die Auseinandersetzung mit außereuropäischer Kunst und dem Primitivismus.

Von Erich Heckel belegen zwei Architektur-Darstellungen sein Interesse an Gebäuden. In "Landschaft bei Dresden" zeigt sich 1910 bereits der "reife Stil". "Das Übererregte der ersten "Brücke'-Jahre ist verschwunden." (S. 84) Auch Kirchner malt in dieser Periode häufig Stadt-Ansichten. "Das Thema Mensch in den Straßen der Großstadt, seine Entfremdung, sein Unbehaustsein, sein gestörtes, allein auf erotische Momente fixiertes Verhältnis zum anderen Geschlecht klingt [...] schon leicht an." (S. 92) Mit "Weiblicher Halbakt mit Hut" von Ernst-Ludwig Kirchner 1911 ist unter dieser Rubrik auch "eines der erotischsten Werke des Expressionismus" (S. 98) abgebildet. Auch die anderen Mitglieder der Gruppe finden in diesem Jahr zu Höhepunkten: Von Max Pechstein sind "Sitzender weiblicher Akt" von 1910, der den Einfluss afrikanischer Kunst deutlich erkennen lässt, und "Fischerkähne" von 1911 abgebildet, von Karl Schmidt-Rottluff stellvertretend für die Norwegen-Bilder, in denen seine "farbige Flächenmalerei eine vorher nicht gekannte Steigerung" erreicht (S. 104), das "Lofthus".

Die letzte, in diesem Band vorgestellte Phase, der "Höhepunkt des Stils" von 1912 bis 1914, enthält von allen Künstlern nochmals mindestens ein Meisterwerk. Von Otto Mueller ist das "Drei Badende im Wasser", von Max Pechstein "Kurische Herbstlandschaft" und von Schmidt-Rottluff der "Petriturm in Hamburg", wo "innere Kräfte und Energien" von den Häusern "Besitz ergriffen" haben (S. 116), und zwei Akt-Darstellungen: "Nach dem Bade" und "Drei rote Akte" von 1913, in dem sich "eine nie zuvor erreichte kreative Freiheit" zeigt (S. 124). Die meisten Abbildungen aus dieser Zeit aber stammen von Heckel und Kirchner. Letzterer ist natürlich mit der "Zirkusreiterin" und einer "Berliner Straßenszene", aber auch mit weiteren Nordseelandschaften, faszinierenden Stadtansichten wie "Rotes Elisabethufer" oder "Hallesches Tor Berlin" und zwei Bildern von seiner Freundin Erna Schilling vertreten. Der "melancholische Gemütszustand" (S. 108) Erich Heckels drückt sich zum Beispiel in Bildern aus, in denen er sich mit Werken Dostojewskis auseinandersetzt, hier "Zwei Männer am Tisch"; aber auch die Stadtansicht "Kanal in Berlin", in der schwarze, laublose Bäume mit ebenso schwarzen, anonymen menschlichen Silhouetten weißen Häuserfassaden gegenüberstehen, oder "Laute spielendes Mädchen" zeigen eine "dunklere Tonart" (S. 120) verglichen mit der früheren Farbigkeit. In der "Gläserne Tag" von 1913 dagegen schafft Heckel ein "paradiesisches Wunschbild" mit "visionärem Charakter", eine "Metapher seiner expressionistischen Erlösungsphilosophie" (S. 122).

So wirken die Bilder der "Brücke" auch ein Jahrhundert nach ihrer Entstehung noch erstaunlich modern in ihren gestalterischen Mitteln, Aussagen und Sehnsüchten.


von Eva Lacour - 11. Januar 2006
Künstlergruppe Brücke
Magdalena M. Moeller
Künstlergruppe Brücke

Prestel 2005
140 Seiten, gebunden
EAN 978-3791333069
80 Farb-, 20 sw-Abbildungen