Provokativ, leidenschaftlich und ungeschmeidig. Monika Maron meldet sich essayistisch zu Wort
Zu den luftigen Gespinsten der Moderne und Postmoderne gehört der bestimmende Glaube an den herrschaftsfreien Diskurs. Müsste dies in einer zumindest graduell vernünftigen, aufgeklärten Gesellschaft nicht möglich sein? Leben wir in einer "offenen Gesellschaft" (Karl R. Popper), die – wie der analytische Philosoph mitten im Zweiten Weltkrieg schrieb – ihre Feinde erkennen und sich ihrer philosophisch wie politisch erwehren muss? Oder ist die "offene Gesellschaft" nicht eher eine Denkfigur im Diskurs, ja ein Luftschloss?
Die vielfach gelesene, anerkannte und weithin hochgeschätzte Schriftstellerin Monika Maron hat sich in den letzten dreißig Jahren vielfach essayistisch geäußert. Zahlreiche dieser Reden und Aufsätze sind in dem Band "Krumme Gestalten, vom Wind gebissen" zusammengeführt, der Resonanzen hervorgerufen hat, nicht der vorwiegend literarischen Beiträge wegen, sondern der pointierten, profilierten Stellungnahmen Marons zu Signaturen der Zeit. Ästhetisch gemeint ist, wenn sie die Rede vom "Versagen der Sprache" als "Unfug" bezeichnet und festhält: "Wir können alles sagen, was wir denken können." Unser Denken ist an Sprache gebunden. Hier zeigt sich aber, dass die bekennend Ungläubige dem Bereich, der als Mystik bezeichnet wird, sich nicht annähert, auch wenn sie ein "Anderes" zugesteht, dieses als "Ahnung" oder "namenlose Sehnsucht" bestimmt, "über die wir vielleicht sprechen könnten, wenn wir mit dem Herzen zu denken lernten". Die Leserschaft kennt Monika Maron auch als sensible Autorin, die aufmerksam wahrnimmt, ohne Sentimentalitäten und künstliche Betulichkeit. Staunen jedoch löst aus, wenn sie vor dem zu kapitulieren scheint, was nicht in Worte gefasst werden kann oder sollte. Nicht gemeint damit sind ein bürgerliches Gestammel oder eine tönende, erhabene Feierlichkeit, mit der etwa Musik bisweilen pathetisch und tränenreich als "ergreifend" qualifiziert wird. Denken mag man eher an eine – durchaus weltlich gemeint – andächtige Stille, die jenseits der Sprache liegt und bleiben darf.
Maron bekräftigt auch, dass vor Liebe der Entschluss feststehe, "lieben zu wollen": "Dann sieht man hin, verliebt sich und sagt später: es war Liebe auf den ersten Blick." Das wirkt so illusionslos, dass man es nicht glauben möchte. Wenn doch ein Junge, ein Mann sich in ein Mädchen, eine Frau verliebt – oder umgekehrt –, mag dies nicht aus der Spontaneität des Augenblicks geschehen, die auch alle Pläne durchkreuzen kann? Monika Maron schreibt indessen nicht über Menschen, die unerwartet, ja unwillkürlich zu Liebespaaren werden, stattdessen über ein altes Gemäuer: "Mein entscheidender Blick traf auf ein verfallenes, von schlammigem Acker umgebenes und in ein unglaubliches, vom Regen klargewaschenes Herbstlicht getauchtes Haus am östlichsten Rand von Vorpommern. … Der fahle, diesige Himmel am Morgen, wenn das Gras noch feucht ist; die wechselnde Maskerade der Wolken: Gesichter, Pferde, krumme Gestalten, die der Wind zerfetzt und neu zusammenfügt, die Farbgewitter der Sonnenuntergänge, wenn man aus dem westlichen Fenster sieht, und unheimliche Mondgesichter über dem östlichen. Über diesem flachen Land herrscht der Himmel so unangefochten wie sonst nur über den Gipfeln der Berge." Wer sich in den Himmel verliebt, so lernen wir von der Schriftstellerin, muss deswegen noch nicht an Gott glauben.
Schwierigkeiten gesteht Monika Maron mit Blick auf Selbstauskünfte und die leidige, vielleicht vollkommen überflüssige Identitätsfrage zu. Denken Sie ständig nach – vor allem über sich selbst? Haben Sie ein Selbstkonzept? Religionslehrkräften heute etwa wird dies förmlich abgenötigt oder aufgezwungen. Warum schreiben Schriftsteller? "Vielleicht bin ich nur Schriftstellerin geworden, weil es mir sehr früh als eine trostreiche Beschäftigung erschien, Wörter auf einen Zettel zu schreiben." Monika Maron misstraut "jeder eindeutigen Kausalität" – wir glauben, sagte David Hume und meinte Menschen, die sich für vernünftig halten, an die Kausalität im Handeln.
Das Buch enthält zudem neuere Streitschriften. Die Schriftstellerin schreibt über ein – medial zugewiesenes – Stigma. Sie würde, so lese sie, an einer "Angststörung" leiden: "In meinem Fall, steht in der Zeitung, soll es sich um die Islamophobie handeln." Das bestreitet sie, sie habe extremistische Strömungen und kulturelle Praktiken kritisiert. Monika Maron fordert die "Solidarität der Aufgeklärten", spricht von den "universalen Menschenrechten" und schreibt: "Unsere Antwort auf den Islam kann nicht die Rückbesinnung auf den christlichen Glauben sein, wie es die Kanzlerin empfohlen hat. Unsere Antwort finden wir bei den großen Aufklärern Lessing und Mendelssohn, bei Wilhelm von Humboldt und Rahel Varnhagen. Wir brauchen die Solidarität und Freundschaft aller, die für ein freiheitliches, säkulares Europa streiten, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Glauben." Die Schriftstellerin ist religiös unmusikalisch und argumentiert leidenschaftlich gegen bestimmte Erscheinungsformen des politischen Islam. Ich dachte bei der Lektüre – "unsere Antwort"? Wer ist "wir"? Wer gehört dazu, wer möchte dazu gehören? Muss oder möchte ich überhaupt antworten? Wer religionswissenschaftlich oder auch theologisch sich mit "dem Islam" beschäftigt, wird feststellen, dass es "den Islam" so wenig gibt wie "das Christentum" oder etwa "die katholische Kirche". Wer mit der Prämisse arbeitet, dass eine Religion in säkularer Gestalt vor allem eine Diskursgemeinschaft ist, kann schnell feststellen, dass es sehr verschiedene Strömungen gibt und manchmal nicht einmal ein binnenreligiöser Minimalkonsens mehr besteht. Der von Monika Maron so exponiert bezeichnete "Islam" ist eine Denkfigur, eine Abstraktion. Die Heterogenität von Religionsgemeinschaften hat zugenommen, wird indessen – auch in vielen Medien – nicht hinreichend differenziert erfasst.
Letztlich kämpft die streitbare Autorin vor allem für Meinungsfreiheit: "Natürlich, Deutschland ist ein Rechtsstaat; darum werden Bücher nicht verboten und Schriftsteller nicht verhaftet. Aber jenseits des Gesetzes gibt es eine Deutungsmacht, die blindlings mit Verdächtigungen und Diffamierungen um sich werfen darf, sobald das, was sie als Wahrheit ausgibt, in Frage gestellt wird. Dann wird man in den Medien unversehens zum »neurechten Autor« oder zu jemandem, der »neurechtem Gedankengut nahesteht« oder dergleichen. … Es gibt auch in einem Rechtsstaat Möglichkeiten, Menschen wegen unerwünschter Meinungen die Existenz zu erschweren oder sogar zu zerstören. Wenn Zweifel schon verdächtig sind, wenn Fragen als Provokationen wahrgenommen werden, wenn Bedenken als reaktionär gelten, wenn im Streit nur eine Partei immer recht hat, können einen alte Gefühle eben überkommen."
Wer sich mit Monika Marons Gedanken und Thesen auseinandersetzt, wird sich zumindest nachdenklich fragen, ob wir in einer aufgeklärten Gesellschaft leben. Besteht eine Art konformistisches Denken? Sie weist auf politische Kampfbegriffe und Zuschreibungen hin – und wehrt sich gegen Stigmatisierungen. Auch dezidierte Einschätzungen bringt sie vor, bisweilen in einem höchst engagierten, ja erregten Ton, der subjektiv verständlich sein mag, einigen aus dem Herzen sprechen, vielen Lesern aber zu weit gehen könnte. Würden sich viele Menschen heute im politischen Diskurs nicht mehr Gelassenheit und eine primär religionswissenschaftlich gegründete Aufklärungsarbeit wünschen? Verweisen kann man in diesem Zusammenhang etwa auf die grundlegenden, nicht fundamentalistischen, aber darum fundamental wichtigen Schriften des international renommierten Religionswissenschaftlers Peter Antes. Auf eine kostenfrei einsehbare Abhandlung – "Der Islam als politischer Faktor" – sei exemplarisch hingewiesen. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck warb vor etwa einem Jahr in dem Buch "Toleranz" dafür, dass wir alle einander mehr zuhören und aufmerksam miteinander reden sollten. An dieses bleibend wichtige Buch habe ich bei der Lektüre der Essays von Monika Maron denken müssen. Zudem kam mir ein Wort von Marcel Reich-Ranicki in den Sinn, der das erzählerische Werk von Monika Maron sehr schätzte. Er stellte vor langer Zeit nüchtern und lapidar fest: "Wer schreibt, provoziert."
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