Kritisch-rationale Appetithäppchen
Karl Popper und Hans Albert gehören weltweit zu den einflussreichsten Wissenschaftsphilosophen überhaupt, aber ihre Strahlkraft scheint seit einiger Zeit nachgelassen zu haben. Rationales Denken und Argumentieren, das beständig der Kritik und damit dem Irrtum und der Widerlegung ausgesetzt und sich der Ungewissheit immer wieder bewusst ist, hat als philosophische Grundhaltung an Reputation eingebüßt – sowohl in wissenschaftlichen als auch in politischen und wirtschaftlichen Kontexten und mit spürbaren Auswirkungen auf die mediale und alltagssprachliche Debattenkultur. Es ist der Eindruck entstanden, dass stattdessen moralistische, kollektivistische und dogmatische Denkweisen den Ton angeben. Kritische Rationalisten in der geistigen Umgebung von Popper und Albert könne man hingegen auf einer "kognitiven Insel" ansiedeln, meint Lothar F. Neumann – "auf der Insel der Rationalität", wo die Bewohner unter sich sind.
In seinem Buch serviert Neumann seinen Lesern 23 thematische Häppchen, die Sichtweisen und Positionen des Kritischen Rationalismus in knapper Form darstellen. "In der Kürze liegt die Würze", heißt es sprichwörtlich und zutreffend im Hinblick auf Neumanns Darstellungsweise, die Appetit machen soll, sich mehr, tiefer und weiterführend mit den Grundsätzen und Ideen kritisch-rationalen Denkens auseinanderzusetzen. Die Insulaner, so Neumann, müssten sich etwas einfallen lassen, damit ihre kritische Rationalität außerhalb ihrer Insel zu "intellektuellen Stimulierungen" führe.
Neumanns Publikation sendet dazu kräftige Impulse aus. Zum einen ist sie eine Fundgrube für weiterführende Literatur und kann in weiten Teilen als eine kommentierte Bibliografie zum Kritischen Rationalismus angesehen werden. Im Anhang finden sich zahlreiche erläuternde Anmerkungen mit Buchhinweisen und ein umfangreiches Literaturverzeichnis. Zum anderen regt Neumann zu einer Revision von bestimmten kritisch-rationalen Positionen an, die etwa durch Veränderungen in der Politikberatung oder durch neue Kommunikationsstrukturen entstanden sind. Dabei bezieht sich der Autor namentlich auf das Werk von Hans Albert, der in Neumanns Buch insgesamt mehr Raum einnimmt als sein Spiritus Rector Karl Popper. Nach Neumanns Ansicht wäre zum Beispiel ein "Handbuch Albert" hilfreich, ebenso eine Biografie von Hans Albert, der in diesem Jahr das hohe Lebensalter von 101 Jahren erreicht hat. An Materialien mangele es nicht.
"Der Kritische Rationalismus vermag natürlich nicht die mannigfachen Probleme in Politik und Wirtschaft zu lösen. Aber er könnte dazu beitragen, in Teilbereichen Schneisen von Rationalität zu schlagen."
Vielleicht könnte auch das im Jahr 2020 gegründete Hans-Albert-Institut solche anspruchsvollen Publikationsaufgaben in Angriff nehmen. Das Institut, das Neumann merkwürdigerweise in seinem Buch gar nicht erwähnt, sieht sich als "Think-Tank zur Förderung des kritisch-rationalen Denkens in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft". Gemeinsam mit der Giordano-Bruno-Stiftung hat das Institut eine broschürenartige Schrift mit dem Titel "Leidenschaft zur Vernunft. Kritischer Rationalismus als Lebenshaltung" herausgebracht. Darin führen die Autoren mit leicht lesbaren und gut verständlichen Formulierungen in die Philosophie des Kritischen Rationalismus ein.Lothar F. Neumann erwähnt in seiner Einleitung die Festschrift zum 100. Geburtstag von Hans Albert mit dem Titel "Hans Albert und der Kritische Rationalismus", die Volker Gadenne und Reinhard Neck herausgegeben haben. "Alte und neue Kritische Rationalisten" (Neumann) setzen sich darin mit der Philosophie von Karl Popper und Hans Albert auseinander. Diesen Personenkreis scheint auch Neumann als Leser seines eigenen Buches anzusprechen. Aber wohl auch solche, die er mit seinem Buch gleichsam einlädt, sich mit dieser philosophischen Richtung eingehend und mit kreativem Mut zu befassen – etwa junge Naturwissenschaftler oder Studierende der Philosophie und der Wissenschaftstheorie sowie der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Sie alle können dann mithelfen, dass die Kritischen Rationalisten ihre "kognitive Insel" verlassen und mit ihren Ideen für eine bessere Welt eintreten. Neumann: "Der Kritische Rationalismus vermag natürlich nicht die mannigfachen Probleme in Politik und Wirtschaft zu lösen. Aber er könnte dazu beitragen, in Teilbereichen Schneisen von Rationalität zu schlagen."
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