Klasse: ein (re-)animierter Begriff
Die Autorin von "Klassenbeste. Wie Herkunft unsere Gesellschaft spaltet" (2022) widmet sich in der 100-Seiten-Reihe des Reclam-Verlages einem fast untergegangen geglaubten Begriff: Klasse. Das einzige four letter word mit fünf Buchstaben erlebt spätestens seit der Pandemie eine Renaissance.
Neben Rassismus und Sexismus ist Klassismus eine der letzten großen Herausforderungen für die demokratische Gesellschaft. Vorurteile und Klischees beeinflussen immer noch den Umgang miteinander, dabei sollte doch der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz auch untereinander gelten. Aber immer noch werden Kinder aufgrund ihrer Armut in der Schule gehänselt oder gedisst und das oft nur wegen ihrer Vornamen (Kevin, Chantal).
Klassismus macht sich aber nicht nur an der Schule, sondern auch am Arbeitsplatz bemerkbar. Dabei ist es erst mal gar nicht so klar, wer eigentlich zur Arbeiterklasse, Mittelklasse oder gar Unterschicht gehört. Laut Marlen Hobrack ist der Begriff der Mittelklasse aber ohnehin ein Konstrukt, das zu viele teils konkurrierende oder gar verfeindete Milieus unter diesem Dachbegriff verteilt. "Eine wirkmächtige Fantasie, die im politischen Diskurs eine Funktion erfüllt", schreibt sie sogar. Eine abgedruckte Grafik des Sinus Instituts über die sog. Sinus Milieus gibt Aufschluss. Klarer kann man da schon zwischen Arm und Reich unterscheiden: Wer vom Kapital und nicht von Arbeit leben kann, gehört ganz klar zur Oberschicht. Wenn sich das über Generationen hinweg wiederholt, ist man sogar superreich, vorausgesetzt man lebt in einem Land ohne Erbschaftssteuer. Der Habitusbegriff (Set von Präferenzen) von Pierre Bourdieu soll dabei helfen, wie die Autorin noch erklärt.
Minimalismus versus Cluttercore
Dass sich seit den 60er-Jahren durch den Fordismus auch die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse verbessert haben und sie in die Mittelklasse aufsteigen konnten, hat allerdings nichts an den grundsätzlichen Ausbeutungsverhältnissen geändert. Vor allem heutzutage reicht es nicht mehr aus, dass nur ein Teil der Familie arbeitet, nein, es müssen beide ran. Der Grund dafür liegt vielleicht in den vier Kapitalsorten: ökonomisches, kulturelles, symbolisches und soziales Kapital, die schon von Bourdieu unterschieden wurden. Nur wer einer bestimmten Schicht angehört, kann alle vier Kapitalsorten gewinnbringend verwerten. Denn "wer über nur wenig ökonomisches Kapital verfügt, riskiert den schnellen Rückfall in die Herkunftsklasse", so Hobrack. Das äußere sich u. a. auch im Einrichtungsstil: Minimalismus oder Cluttercore? Arbeitseinkommen werden im Vergleich zu Kapitaleinkommen immer noch höher belastet. In Deutschland 42 Prozent auf Arbeitslohn, nur 25 Prozent auf Kapitalerträge. Beamte können ihre Pension durchschnittlich 21,5 Jahre genießen, Arbeiter nur 15,9. Und das, obwohl sie viel früher in den Arbeitsprozess eintreten.
Marlen Hobrack lässt auch eigene Erfahrungen aus ihrer DDR-Zeit einfließen und gibt am Schluss einen Ausblick, über das, was man tun könnte: besser organisieren, statt dauernd zu therapieren. Im Anhang befindet sich ein weiterführendes Literaturverzeichnis in ein spannendes Thema, worüber uns Marlen Hobrack wiederholt freundlich hinweist, ohne dabei zu belehren. 2023 erschein auch ihr Roman Schrödingers Grrrl. Als Literaturkritikerin wurde sie mit dem Jörg-Henle-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet.
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