Wild at Heart: Katzen
Über ein Katzenbuch zu schreiben, löst bei einem Rezensenten, der es gewohnt ist, über Besonderes, Verborgenes und Kostbares zu schreiben, zunächst Skepsis aus. Skepsis, über ein Stöckchen zu springen, das bei erster Betrachtung ziemlich niedrig zu hängen scheint: Ausgerechnet Katzen! Bei gefühlt drei Trilliarden Katzenvideos im Netz und mindestens ebenso vielen Büchern, die bei Tierärzten oder Buchhandlungen zu finden sind, mutet es zunächst schwierig an, hier noch Neues zu entdecken und, das gilt in besonderem Maße für die Autorin, auch noch etwas Neues zu schreiben.
Wer jedoch Maike Grunwald kennt, die als versierte Journalistin und Autorin über zahlreiche spannende Reisen berichtet und mit einer Verve aus Engagement, Heiterkeit und feiner Feder unermüdlich dafür sorgt, unser Wissen regelmäßig zu erweitern, der weiß, daß sie sich den Katzen so sensibel nähert, wie vielen Themen ihrer Publikationen: Mit Bedacht, Leichtigkeit und grenzenloser Neugier. Und damit ist Maike Grunwald ihren Protagonisten, den Katzen, bereits sehr nahe gekommen. Denn was sich ihren Leserinnen und Lesern schon auf den ersten Seiten dieses feinen Buches entfaltet, zeigt, daß wir Menschen trotz Jahrtausende langer Koexistenz mit Katzen eigentlich kaum etwas über diese fantastischen Wesen wissen. Das wirkliche Verständnis von und für Katzen ist sogar erst in den letzten Jahrzehnten durch interdisziplinäre Forschung und Beobachtung entstanden, erklärt Grunwald. Oder wieder entdeckt worden? Denn in der Antike, vor allem im alten Ägypten wurden die Tiere geschätzt und gepflegt, ja, sogar verehrt und als Göttinen gehuldigt, wie zahlreiche Grabbeigaben, Inschriften und Artefakte beweisen. Eine Auswahl dieser Zeugnisse des Katzenkultes der Antike zeigt Grunwald in ihrem Buch, gut erklärt, historisch und soziotopisch zugeordnet, mit sehr feinen Illustrationen und Grafiken abgebildet.
Und warum in Ägypten? Nun, zunächst stammt die Katze aus Afrika, wie auch der erste Mensch. Genauer gesagt, "stammen sämtliche Hauskatzen auf der ganzen Welt von der libyschen Falbkatze (Felis silvestris lybica) oder auch afrikanischen Wildkatze ab, wie umfangreiche DNA-Vergleiche bestätigen", so Grunwald. Diese Forschungsergebnisse eines internationalen Teams um Carlos A. Driscoll wurden erst im Jahre 2007 manifestiert und zunächst in der Zeitschrift Science veröffentlicht, berichtet die Autorin weiter. Das bedeutet, daß wir erst seit etwas über einem Jahrzehnt Genaueres über die Herkunft unseres offenbar gar nicht so bekannten Haustieres wissen, das neben Pferden, Rindern, Hunden, Hühnern oder Schweinen schon so lange an unserer Seite lebt. Und woran liegt das? Hunde wurden aus Wölfen gekreuzt und domestiziert: Zum Schutz, zur Warnung vor Krankheiten, zum Entdecken von Krankheiten oder verderbtem Wasser oder Nahrung durch die feine Nase, zur Abwehr von Feinden, Räubern und Wildtieren. Und natürlich zur Jagd. Dabei folgte der Wolf dem Mensch, als er noch Jäger und Sammler war. Die Rudel spürten den wechselnden Behausungen der Menschen nach, fraßen die Reste der Jagdbeute, sparten so Energie und lebten besser. Bald entdeckte der Mensch die Vorteile aus der Symbiose mit Wölfen und später Hunden. Bei Pferden und Nutztieren wie Hühnern, Rindern, Schweinen liegt der Vorteil nahe. Und was passierte, als der Mensch den Ackerbau entdeckte, so wie zunächst in Mesopotamien, dem goldenen Halbmond und dem Niltal, den besonders fruchtbaren Lebensräumen zwischen Tigris, Euphrat und Nil? Richtig, er wurde sesshaft. Und hier recherchiert Maike Grunwald gründlich weiter.
Die Katze folgt dem Mensch
Die Katze folgte den Bauern am Flußufer, denn das Getreide lockte natürlich Nagetiere an: Hamster, Mäuse, Ratten, die gar nicht genug von dem Schlaraffenland bekommen konnten, das Ihnen die fleißigen Bauern mit ihren Feldern, Silos und Kornkammern bereiteten. Ähnlich wie die Wölfe beobachteten die Katzen eine Weile, daß ihre natürliche Hauptnahrungsquelle, Nagetiere eben, nahe des Menschen lebten. Konsequenterweise zogen die Katzen also bald auch bei den Menschen ein und stellten den Nagern im Habitat des Menschen nach: In Kellern, Kammern und Feldern miaute es plötzlich. Je mehr Katzen auftraten, um so mehr Nager verschwanden - zumindest hielt sich ihre Zahl begrenzt.
Die Menschen entdeckten die Vorzüge der lautlosen Jäger und ließen sie auch bald...ins Haus. Ein Tier, das sich ohne Zutun des Menschen ernährt, noch dazu von Tieren, die sich an der Nahrung des Menschen schadhaft halten, war ein Geschenk der Natur. Oder des Himmels? Jedenfalls, so Grunwald weiter, dauerte es nicht lange, bis die Katze in der Antike als weises Wesen, als zauberhafte Schöpfung, ja, als Gott bzw. Göttin angebetet wurde. Die ehemalige Wildkatze wurde nun zur Hauskatze. Wobei sie im alten Ägypten durchaus auch den Titel Tempelkatze verdient hätte, denn sie wurde sogar mumifiziert und in die Gräber von Pharaonen zur Reise ins Jenseits gebettet. Die Autorin berichtet von Schälchen mit Resten getrockneter Milch, die in jahrtausende alten Grabkammern entdeckt wurden. Tot im Diesseits, lebendig im Jenseits, Schrödinger wäre entzückt!
Auch in Griechenland wußten Gelehrte wie einfache Menschen von der Weisheit der Katzen. Ihre Anmut, ihre nächtliche Jagd, die Stille und ihre Sauberkeit spiegelten die griechischen Werte der Ästhetik wieder. Die Neugier verleiht ihr etwas Menschliches, ihr Jagdtrieb etwas heldenhaftes und ihre Robustheit etwas Übernatürliches. Die Katze eroberte Europa. Und auch dort war sie bis ins frühe Mittelalter wohl beliebt. Maike Grunwald wäre aber nicht Journalistin, wenn sie nach der langen Bewunderung nicht auch die brutale Verteufelung der Katze in ihrer Kulturgeschichte aufzeigen würde: Als die Antike in Scherben lag, Byzanz mit Rom überworfen war und die Renaissance noch fern blieb, legte das so genannte "dunkle Mittelalter seinen bleiernen Schleier auch über die ehedem so geliebten Katzen".
Doch ein Wesen, das Nachts aktiv war, sich schlecht erziehen ließ und sehr eigenen Willen bewies, bedeutete das Gegenteil von dem, was das seit dem Ende des kaiserlichen Roms immer mächtiger werdende vatikanische Rom von seinen Gläubigen erwartete. Noch dazu die Wollust, mit der Katzen ihren Nachwuchs mehrten. Eine rollige Katze, die nur auf das Eine aus ist, schien dem Klerus die Fell und Krallen bewehrte Inkarnation des Leibhaftigen auf Erden zu sein. Als dann die Mongolen nach Europa stürmten, die Mauren die iberische Halbinsel eroberten und schließlich Byzanz immer mehr von muslimischen Invasion Heeren attackiert wurde, schmolz das Territorium des christlichen Europas wie auch sein Glaube an göttlichen Beistand zusammen. Und nun dies: Die Katze galt den Muslimen als reinliches, gutes Tier, das lautlos, unerschrocken und selbstbewusst jagt. Der Hund dagegen, was natürlich nicht stimmt, galt im morgenländischen Duktus als "unrein, krank und hinterhältig". Wir wissen, daß weder das ein noch das andere stimmt. Aber damals kam dem Klerus diese - ebenfalls erratische - Auffassung der bedrohlichen maurischen oder arabischen Eroberung Heere recht: Der Hund galt als treu und ergeben, unerschrocken und mutig, die Katze dagegen als heimtückisch, untreu, egoistisch und - teuflisch. Als dann nach und nach die so genannte "Hexenverfolgung" einsetzte, die dem Typus der unabhängigen und gelehrten Frau, bald auch der Frau und der Weiblichkeit generell den Kampf ansagte, war es um die "weibische, teuflische" Katze geschehen: Katzen wurden erschlagen, erdrosselt, ersäuft, ans Holz genagelt und verbrannt.
Verteufelung im Mittelalter
Der Sadismus im Auftrag Gottes beschränkte sich schon bald nicht mehr auf die armen Katzen, auch Frauen, wie wir wissen, wurden bald strenger beäugt, verunglimpft, verfolgt und als Hexen gefoltert und ermordet. Eine Frau, die zur Witwe wurde und Katzen statt Kinder im Hause hatte, konnte, um den Hauch einer Überlebenschance zu haben, nur noch in den Wald fliehen. Autorin Grunwald läßt auch dieses dunkle und sehr lange, blutige Kapitel der Verfolgung, Folterung und Ermordung von Katzen, deren Schicksal im Kontext der Häresie und Inquisition eng mit dem der Frauen verknüpft ist, genügend Aufmerksamkeit. Grunwald näht mit feinem Zwirn auch den Saum der lautmalerischen Assoziation der im Deutschen ähnlich klingenden Substantive Katzen und Ketzer nach: Bedeutete das Wort "Ketzer", das etymologisch eher dem Begriff "Katharer" entlehnt ist, dem Gläubigen des Mittelalters etwas Böses, so kann der onomatologisch, also ähnlich klingende Begriff "Katze" nur mindestens genau so böse sein. Bald gab es Landstriche, in denen wegen systematischer Verfolgung und Liquidierung von "besonders teuflischen" schwarzen Katzen und rothaarigen Frauen beide Spezies ausgestorben waren. Es fällt schwer, hier nicht von "ausrotten" zu sprechen und Euphemismen Platz zu liefern.
Doch was passiert hier gerade? Im historischen Vergleich zwischen den fatalen Vorurteilen einer christlich-klerikalen und einer islamisch-orthodoxen Weltanschauung über die Katze und ihren Kosmos schafft Grunwald eine Chronik, die kongenial zwischen Wissenschaft, Innenschau und Mythos oszilliert. Sanft wie die Pfoten einer Katze, lautlos, behutsam, aber sehr zielsicher und sehr aufmerksam führt uns Maike Grunwald Beispiele vor, die von der Beschreibung über Katzen längst in Assoziationen münden, die diese hervorrufen.
Neue Erkenntnisse
Das ist subtil wie clever zugleich, vor allem lehrreich und - überraschend. So geschieht es, daß dieses Buch über Katzen immer mehr Antworten auf Fragen liefert, die wir einst beantwortet glaubten. Das ist brillant! Was und vor allem wie Maike Grunwald in ihrem Buch als wortgewandtes wie wissensreiches Abenteuer in Geschichte, Verhalten und Leben von und mit Katzen beschreibt, ist ein wundervolles Erlebnis, das nicht mit Überraschungen spart.
Als Autor dieser Zeilen leitete ich diese Rezension mit der provokanten Frage ein, ob nicht schon genug über Katzen geschrieben wurde. Vielleicht. Aber es wurde selten etwas so Wichtiges und Richtiges und gleichsam Neues über Katzen geschrieben, wie in diesem kleinen, aber feinen Kunstwerk von Maike Grunwald. Ihr Buch "Katzen" fesselt von der ersten Seite an. Und ich garantiere Ihnen, wenn Sie nicht völlig übermüdet, des Lesens mächtig und einigermaßen nüchtern sind, daß Sie dieses Buch bis zur letzten, hundertsten Seite auch nicht weglegen.
Von Tieren lernen
Was kann ich als Fazit noch sagen? Nun, ich lebe seit meiner Kindheit, die sehr lange zurückliegt, mit Hunden zusammen. Ab und an auch mit Katzen, aber meist, bis heute, mit Hunden. Dass ein Hundeliebhaber sagt, "lesen Sie dieses Buch von Maike Grunwald über Katzen", geschieht so häufig, wie sich ein Düsseldorfer ein Kölsch bestellt. Denken Sie also bitte nicht weiter nach, sondern erwerben Sie es.
Ob Katzen-, Hunde-, Zebra- oder Goldfisch-Fan: Wer etwas von Tieren lernt, lernt auch etwas über sich. Und lesen Sie vor allem nachts, denn nachts sind alle Katzen...genau!
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