Prophetin der Freiheit
Zu Recht wird heute in Staat, Gesellschaft und Kirche die Stimme der Frauen stets aufs Neue betont und als wesentlich erachtet. Katharina von Siena war weder eine Feministin noch eine Philosophin der Gleichberechtigung, geschweige denn eine Vorläuferin von Gender-Aktivisten. Sie erhob ihre Stimme gegen machtbesessene Kleriker, ja selbst gegen den Papst, und sie wusste sich darin von Gott berufen. Katharina stritt leidenschaftlich für die Wahrheit des Glaubens. Sie begehrte kein Amt, keine Macht und keinen bestimmenden Einfluss, aber sie sprach Worte von Feuer und bezeugte in einer Zeit der geistlichen und sittlichen Verwahrlosung mitten in der Kirche den Mut des Glaubens. Paul Murray hat über die Kirchenlehrerin ein instruktives Porträt vorgelegt, das lesens- und bedenkenswert ist.
Mit „liebender Kühnheit“ und erfüllt von der „Leidenschaft eines alttestamentlichen Propheten“ trat sie auf, diktierte in Ekstase Gebete, adressierte Briefe an geistliche Würdenträger und erwies sich als eine furchtlose Frau ihrer Zeit, dem Dominikanerorden verbunden, die scharfsinnig eher als „Predigerin als eine Gelehrte“ auftritt: „Ihr Werk ist explosiv. Um sie herum sieht sie allerorten Menschen, die unterdrückt werden und ohne Hoffnung sind, Männer und Frauen, versklavt durch Lügen und Ungerechtigkeit, ihre Leben verstümmelt und gebrochen durch die verkrüppelnden Fesseln der Angst und der Entmutigung. Als ein Ergebnis dieser Wahrnehmung wird die Freiheit geradezu eine Obsession für Katharina.“ Das größte „Geschenk“ des menschlichen Lebens sei die Freiheit, die einen „neuen und offenen Zugang zur Gemeinschaft mit Gott schenkt“. Freiheit ist also nicht Selbstgenuss, nicht ein relativistischer Existenzialismus oder eine kindische Ichsucht. Freiheit ist Hingabe. Gegenbeispiele sieht sie in der Kirche, korrupte Priester, Ordensleute und Kardinäle, die sich in die Sklaverei der Sünde begeben haben und hedonistisch leben. Sie bezeugen die Gottlosigkeit ihrer Zeit und tragen die Gewänder religiöser Würdenträger. Katharina spricht über den freien Willen, um über die „Feinde der Freiheit“ zu triumphieren. Sie inspiriert dadurch viele Menschen, die sich schwach fühlen, ein Leben aus der „lebendigen Erkenntnis der Liebe Gottes“ zu führen: „Freiheit ist nicht frei, bevor sie nicht anfängt zu dienen.“ Doch damit meint Katharina nicht den Dienst gegenüber korrupten Fürsten dieser Welt, sondern den Dienst am Mitmenschen, die Sorge für die Armen und das Mitgefühl für jene, die der Hilfe zuinnerst bedürftig sind. Wer für andere sorgt, aus freier Wahl, realisiert seine Freiheit im Dienst am Nächsten. Eng damit verbunden sind Meditation, Mystik und ein kontemplatives Leben: „Statt sich auf rein private, subjektive Erfahrung zu verlassen, werden wir dazu aufgefordert, unsere Aufmerksamkeit auf die Wirklichkeit Christi, des menschgewordenen Wortes, auszurichten und auf die befreiende Objektivität seiner Lehre. Es gibt natürlich reale kontemplative Gnaden, aber die Brücke, die uns mit dem Vater verbindet, ist nicht irgendeine innere mystische Empfindung, sondern vielmehr die erstaunliche, aufopferungsvolle Liebe Christi.“ Der Gläubige soll dem Mitmenschen das tun, was er Gott nicht tun kann, ihn bedingungslos zu lieben, ohne Dankbarkeit oder Vorteile zu erwarten, im „engagierten Dienst für die Menschen in Not“.
Katharina zeigte einen „feinen Sinn für Takt“ sowie eine „bemerkenswerte Bescheidenheit“. Leidenschaftlich liebte sie die Wahrheit, im Wissen auch darum, dass die Wahrheit verletzend und gefährlich sein könne. So zeichnete sie eine „grundsätzliche Freundlichkeit“ aus. Paul Murray nennt Katharina eine „Heilige unserer Menschlichkeit“, die als Frau im Laienstand nicht auf Kanzeln predigen konnte, aber ihren Visionen und Anschauungen Ausdruck verleihen konnte durch die „kostbare und einzigartige Gab des Schreibens – die Gabe, in diesem Fall, Briefe zu schreiben, entweder mit der Hand oder durch das Diktieren“. Zudem verfügte sie über die „einzigartige und spezielle Gnade der mystischen Begegnung mit Gott“, die sich in ihrem „apostolischen Geist“ manifestierte: „Denn was wir hier erleben, ist nicht weniger als das brennende Dogma: im Herzen der Kirche – und in der Tat im Herzen der Welt schenkt uns Katharina eine strahlende und mutige evangeliumsgemäße Mystik.“ So schreibt Katharina an Ristoro Canigiani: „Die ganze Kälte unseres Herzens kommt also nur daher, dass wir nicht darauf achten, wie sehr wir von Gott geliebt werden.“
Am 30. April 1380 starb Katharina von Siena im Alter von 33 Jahren in Rom. 1970 erhob sie Papst Paul VI. zur Kirchenlehrerin und würdigte eine außergewöhnliche, in hohem Maße bemerkenswerte Frau. Wer mehr über die Heilige, die in der römischen Kirche Santa Maria sopra Minerva begraben ist, erfahren möchte, möge dieses einführende, verständlich verfasste und zugleich tiefgründige Buch von Paul Murray zur Hand nehmen.

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