Kafka: Der Literat im Kino
"Im Kino gewesen. Geweint. Lolotte. Der gute Pfarrer. Das kleine Fahrrad. Die Versöhnung der Eltern. Maßlose Unterhaltung. Vorher trauriger Film Das Unglück im Dock nachher lustiger Endlich allein. Bin ganz leer und sinnlos, die vorübergehende Elektrische hat mehr lebendigen Sinn.", schrieb Kafka am 20. November 1913 in sein Tagebuch und vielleicht war es gerade dieses Zitat, das Zischler dazu veranlasste, das vorliegende Buch herauszugeben, das nun in einer wunderschönen bibliophilen Neuauflage bei Galiani Berlin/Verlag Kiepenheuer & Witsch mit DVD einiger von Kafka gesehenen Filme erschienen ist.
Buch und CD zu Kafkas Sehgewohnheiten
Die kleine Sensation dieser erweiterte Neuauflage des Buches von 1996 kann sich sehen lassen: Denn nicht nur, dass das Buch in kompakten Hardcover mit Lesebändchen gepresst wurde, nein, es verfügt auch über eine DVD, die genau jene Filme beinhaltet, die Franz Kafka zu seinen Lebzeiten gesehen haben soll und die ihn nachhaltig beeinflusst hatten. Nachdem die Kafka-Forschung den Umstand, dass Kafka ein fleißiger Kinogeher gewesen ist, bisher nicht weiter berücksichtigt hatte, war Zischlers Publikation natürlich schon bei der Erstausgabe ein durchschlagender Erfolg, zumal sie auch ein schöner, illustrierter Essayband war. "Reizbilder, Reisebilder und Blitzlichter" nennt Zischler im Vorwort zur erweiterten Neuauflage das, was Kafka damals im "Kinematographen" erlebt hatte, denn selbstverständlich handelte es sich zumeist um Stummfilme.
Kafkas Einsamkeit im Kino
Kafka hatte sich selbst Erlebnisunfähigkeit attestiert, dafür aber "Genuss und Gier nach allem und jedem. Das Kino ist der Katalysator dieser Affektverschiebung", schreibt Zischler und führt mit Kafkas eigenen Worten aus: "Ich bin in allen Winkeln meines Wesens leer und sinnlos, selbst im Gefühl meines Unglücks." Kafka habe zwar menschliche Beziehungen genießen können, nicht aber erleben, so Kafka über Kafka. Seine Lösung der Verlobung mit Felice Bauer gipfelte in den Worten: "ich bin gierig nach Alleinsein, die Vorstellung einer Hochzeitsreise macht mir Entsetzen, jedes Hochzeitsreisepaar, ob ich mich zu ihm in Beziehung setze oder nicht, ist mir ein widerlicher Anblick, und wenn ich mir Ekel erregen will, brauche ich mir nur vorzustellen, dass ich einer Frau den Arm um die Hüfte lege".
Kafkas Dilemma
Hanns Zischler erkennt in Kafkas Sehnsucht nach "besinnungsloser Einsamkeit", die Sehnsucht nach dem Kino: "Er geht ins Kino, um zu vergessen. Es gibt wohl kaum einen geeigneteren Ort, um dies genussvoll zu erreichen." Wie wahr! Sein Wunsch, sich formal bürgerlichen Konventionen hinzugeben, hielt ihn vom Schreiben ab und war wohl das Dilemma seines Lebens, wie für viele andere KünstlerInnen auch.
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