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Juan Pablo Villalobos: Fiesta in der Räuberhöhle

Von liberianischen Zwergnilpferden und der Erkenntnis, dass der nächste König nicht weit ist

Der junge mexikanische Autor Juan Pablo Villalobos, der nicht nur in Spanien lebt, sondern auch dort publiziert - was beides bezeichnend ist für die Situation in Mexiko - schreibt über genau diese aus der Sicht eines Kindes. Tochtli heisst der siebenjährige Junge, der höchstens vierzehn Personen kennt (würde er die Leichen mit zählen, stellt er ernüchternd fest, käme er auf einige mehr), und gemeinsam mit seinem Vater Yolcaut (in der Öffentlichkeit genannt "El Rey' - der König) und dem Privatlehrer Mazatzin in einem grossen Palast haust.

Bauchschmerzen und die Vorliebe für Hüte ("Der Himmel ist voller Tauben, die ihr Geschäft machen") und 'schwierige' Wörter sind bezeichnend für den von der Aussenwelt abgeschotteten Tochtli, der sich und dem Leser, die Vorkommnisse im und um den Palast herum, von denen er via Fernsehnachrichten erfährt, auf sechsundsiebzig Seiten zu erklären versucht. Tochtli, der ohne Mutter aufwächst, tut gut daran, sich in die patriarchalische Gesellschaft einzufügen: "Ich flenne nicht die ganze Zeit, nur weil ich keine Mama habe. Alle glauben, dass du ständig heulen musst, wenn du keine Mama hast, literweise Tränen, zehn oder zwölf am Tag. Aber ich heule nicht, denn wer heult, ist eine Schwuchtel. Wenn ich traurig bin, sagt Yolcaut zu mir, dass ich nicht heulen soll, er sagt: Reiß dich zusammen, Tochtli, wie ein richtiger Macho." Dass Tochtli zwischenzeitlich während mehreren Tage verstummt, erstaunt wenig.

In den Besitz eines liberianischen Zwergnilpferds zu kommen, ist Tochtlis grösster Wunsch. Mit gefälschten honduranischen Pässen und in Begleitung des Hauslehrers reisen Vater und Sohn nach Liberia, wo es tatsächlich gelingt, zwei liberianische Zwergnilpferde einzufangen. Leider verenden Marie Antoinette von Österreich und Ludwig XVI bereits vor der Überfahrt. Tochtli, der bei der Hinrichtung der beiden gesundheitlich arg angeschlagenen Zwergnilpferde dabei sein will, steht anschliessend unter Schock: "Da zeigte sich, dass ich doch kein Macho bin, und ich fing an zu heulen wie eine Schwuchtel. Und in die Hose habe ich mir auch gemacht. Ich schrie so fürchterlich wie ein liberianisches Zwergnilpferd und wünschte, dass alle, die mich hörten, am liebsten tot wären, um mich nicht länger hören zu müssen." Trost gibt es keinen.

Der direkte Bezug von "Fiesta in der Räuberhöhle" zur Realität ist sowohl beeindruckend als auch erschreckend. Es gibt nichts Erfundenes in diesem Buch. Was sich als absurd, brutal und äusserst makaber liest, konnte vor einigen Monaten tatsächlich in Nachrichten gesehen oder aus Zeitungen erfahren werden und wiederholt sich in ähnlicher Form fast täglich. Abgeschlagene Köpfe und menschliche Überreste sind nicht nur Leitmotiv des Buches, sondern geniessen auch in der mexikanischen Medienlandschaft, welche vom Drogenkrieg und der damit zusammenhängenden Militarisierung des Landes geprägt ist, einen hohen Stellenwert. Seit 2006, als der mexikanische Staatspräsident Felipe Calderon dem organisierten Verbrechen offiziell und mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln den Kampf angesagt hat, sind im Drogenkrieg rund 50"000 Menschen ums Leben gekommen. Konkrete Lösungen für den Konflikt zwischen den einzelnen Drogenkartellen einerseits und den Kartellen und den staatlichen Sicherheitskräften andererseits, gibt es keine.

Kaum aus Liberia zurück, überstürzen sich die Ereignisse. Tochtli verstummt gänzlich, erschiesst einen hellblauen Wellensittich und Mazatzin verschwindet. "Ich hab"s gewusst, ich hab"s gewusst: Mazatzin ist gar kein Heiliger, er ist nichts als ein pathetischer Verräter. Er hat eine Reportage in einer Zeitschrift veröffentlicht, in der er von unseren Geheimnissen, Rätseln und versteckten Dingen berichtet. (...) Er spricht von unseren Millionen von Pesos, von unseren Millionen von Dollars, von unseren Millionen von Euros (...)." Mazatzin versucht die Flucht nach Honduras ("Ich glaube, nur Idioten fliehen mit dem Pass eines falschen Honduraners in das Land Honduras."), wo er jedoch dank den Kontakten Yolcauts zu hohen Politikern schnell gefangen genommen wird.

Der 1973 in Guadalajara geborene Juan Pablo Villalobos unternimmt mit "Fiesta in der Räuberhöhle" den Versuch, der Brutalität des Drogenkrieges ein Gesicht zu geben. Die erzählende Ich-Figur ist Sohn eines einflussreichen Drogenbarons und Folge dessen den Tätern zugehörig. Gleichzeitig ist Tochtli als Kind aber per se unschuldig, er kennt die Welt einzig durch die Augen des Vaters und Privatlehrers, wird in die Fussstapfen des Vaters treten, ohne je mit anderen Perspektiven konfrontiert worden zu sein. Insofern ist Tochtli zwar Täter, aber umso mehr auch Opfer einer Gesellschaft und Hierarchie, der er gnadenlos ausgeliefert ist. Die ältere Generation wird von der jüngeren abgelöst, die im Gegensatz zu ihren Vorfahren nie vor eine Wahl gestellt wird. Villalobos zeigt deutlich, wie eng Politik und Drogengeschäfte miteinander verbunden sind. Als Leser gerät man rasch in einen Konflikt: Sympathien für das Kind und dessen charmanten Ton, seine Erzählweise und Logik stehen im Kontrast zu dem, was und in welcher Umgebung das Kind erzählt (Hinrichtungen, Verpackungsmöglichkeiten von Leichen, etc.). Sich dadurch unterhalten zu fühlen, löst ein gewisses, vom Autoren natürlich beabsichtigtes, Unbehagen aus.

Die Übersetzung vom Spanischen ins Deutschen ist nicht immer unproblematisch. Während es im mexikanischen Spanisch beispielsweise unzählige Bezeichnungen für "Schwuchtel' gibt und diese in jeden zweiten Satz verwendet und selten als Schimpfwort gemeint werden, klingt das deutsche Wort dann doch relativ hart und despektierlich. Die spanische Version ist mit viel mexikanischem Insiderwissen und Lokalkolorit versehen, welche nur schwierig zu übersetzen sind, beziehungsweise deren Inhalt in der Übersetzung oft verloren geht. Nahezu grotesk wirkt das Cover der deutschen Ausgabe: Was der einstige Revolutionsführer Zapata auf dem Umschlag eines Buches zum aktuellen Drogenkrieg zu suchen hat, bleibt schlicht schleierhaft.


von Regula Portillo - 06. Januar 2012
Fiesta in der Räuberhöhle
Juan Pablo Villalobos
Carsten Regling (Übersetzung)
Fiesta in der Räuberhöhle

Berenberg 2011
Originalsprache: Spanisch
76 Seiten, gebunden
EAN 978-3937834450