Joseph Beuys und der Kojote
Zur Eröffnung - quasi als Initiationsritus - für die New Yorker René Block Galerie fand im Mai 1974 ein dreitägiges "Happening" der besonderen Art statt. Die Akteure: ein Spazierstock, zwei Rollen Filz, Joseph Beuys und ein "Coyote". Die Dokumentation dieser einmaligen Kunstaktion wurde von Caroline Tisdall in eindrucksvollen s/w-Bildern festgehalten und erscheint als lange erwartete Neuauflage der 1976er Ausgabe im Format 25,5 x 17,5 cm erneut in Buchform, um die Werkschau Joseph Beuys im Hamburger Bahnhof in Berlin (noch bis 25.1.2009) gebührend zu begleiten. Auch wenn man sich die Bilder und damit das Format des Buches noch viel größer wünschen würde, ist dieses einzigartige Dokument eine einmalige Gelegenheit, sich mit einem der monumentalsten Gesamtkunstwerke des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen.
Die Bandbreite der Interpretationen dieses GKWs (Gesamtkunstwerk) ist wohl ebenso ellenlang wie die Geschichte der Kojoten Amerikas und seiner Ureinwohner. Während die Kojoten für diese tatsächlich ein Totemtier waren, das durchwegs positive Assoziationen auslöste, bedeutet der Kojote in der Interpretation des Weißen Mannes etwas Pejoratives, Schmutziges, Unzähmbares, auch Unnützes. Der "Westmensch" sei geprägt von selbstsüchtigem Individualismus und nicht bereit als Gruppentier zu leben, wie es etwa die Kojoten tun würden. Von den Indianern, den Ureinwohnern Amerikas, wurde der Kojote hingegen zur Gottheit erhoben und verkörperte Kraft, Wandlung und sogar sexuellen Appetit, wie Tisdall behauptet. Seine für die Indianer, die Naturmenschen, positiv bewertete Anpassungsfähigkeit wurde vom weißen Mann zum "Trickster" umgedeutet, er war "mean": gemein, verschlagen oder heimtückisch.
Beuys habe sich deswegen isoliert mit dem Kojoten beschäftigen wollen, weil dieser - als letzter Repräsentant der indigenen und archaischen Kultur - ebenso verfolgt und ausgemerzt worden sei, deutet Tisdall Beuys` Aktion. Aber mehr als alle erklärenden Worte sprechen die Bilder des Kojoten und Beuys` für sich. Joseph Beuys war nach Amerika gekommen, um allein diesen Kojoten zu treffen und mit ihm zu kommunizieren. Dazu verwendete er verschiedenste Hilfsmittel und am Schluss frisst ihm Lil"John sogar aus der - wenn auch behandschuhten - Hand. Es wäre interessant gewesen, zu erfahren, was wohl die Ureinwohner über Joseph Beuys Aktion gedacht haben, oder denken würden. Der "Mann mit dem Hut" ließ sich am dritten Tag seiner Aktion wieder in den Ambulanzwagen verfrachten, mit dem er gekommen war. Eingehüllt in seine Filzbahnen wollte er jenes Amerika, das wir kennen, nicht wahrnehmen, sondern nur das in seinem Herzen behalten, das wohl auch so mancher Ureinwohner noch für sich bewahrt hat: die unbändige, wilde Natur, die sich auch vom weißen Mann nicht besiegen lässt.
Von Joseph Beuys sind noch weitere Bücher im Schirmer/Mosel Verlag erschienen. Darunter "Das Ende des 20. Jahrhunderts", "Frühe Aquarelle und Zeichnungen", "Die Multiples" und auch eine "Werkübersicht". Die Fotografin und Autorin des einleitenden Textes, Caroline Tisdall (*1945), war Joseph Beuys Mitarbeiterin und begleitete auch andere Projekte des Künstlers in Großbritannien und den USA. Sie hat Kunstgeschichte studiert und war lange Zeit Kunstkritikerin beim englischen "The Guardian". Beuys Vermächtnis ist damit also in guten Händen.
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