Eine Hymne auf Los Angeles
"Findest du, dass ich über einen Verrückten spreche? Dann gib mir den Wahnsinn jener Tage zurück! Gib mir 'nen schrulligen Roman über einen, der Mitleid mit der Menschheit hat. Gib mir einen Roman über den großen Menschen Bandini, der Erfinder großartiger Abgänge… Sehen Sie, Sir, Bandini schreitet gerade zur Unsterblichkeit empor! Eines Tages, Leute, ja, all ihr Ja-Sager, eines Tages werden diese Stufen unauslöschlich mit meinem Namen verbunden sein. Und da drüben über der Mauer wird eine Plakette aus Gold sein und darüber ein großer Brocken Basalt, der das Relief meines Gesichtes zeigt."
Diese bescheidenen Worte stammen von dem italo-amerikanischen Autor John Fante. Und auch wenn Los Angeles ihm kein Denkmal errichtet hat, so hat er in gewisser Weise doch Recht behalten. Dass er seine Wiederentdeckung 1980 de facto einer Erpressung verdankt, soll hier nur am Rande erwähnt werden.
Kein geringerer als Charles Bukowski, der Fante als "seinen Gott" bezeichnete, setzte 1980 seinem Verlag Black Sparrow Press die Pistole auf die Brust. Nur wenn dieser "Ich - Arturo Bandini" neu auflegte, würde er weitere Arbeiten dort publizieren. Man kam dieser "Bitte" nach und publizierte - mit einem Vorwort von Bukowski. Fast über Nacht stellte sich der längst überfällige literarische Erfolg ein der bis heute, 22 Jahre nach seinem Tod, unvermindert anhält.
Arturo Bandini ist der älteste Sohn italienischer Einwanderer. Sein Vater Svevo ist dem Alkohol verfallen und sucht Trost bei einer anderen Frau; eine Mutter Maria findet ihre Erfüllung beim Beten des Rosenkranzes und religiösem Eifer. Getrieben von Ehrgeiz und dem Wunsch, Literat zu werden, zieht es ihn nach Los Angeles, Amerikas Traumfabrik.
Mit 150 Dollar in der Tasche, die ihm der Verkauf der Kurzgeschichte "A little dog left" eingebracht hat, kommt er in Los Angeles an. Nach 6 Monaten ist das Geld aufgebraucht und in seiner Not pumpt er seine Mutter an. Diese schickt ihm 10 Dollar, was 1939 ein Vermögen ist. Doch statt damit sparsam umzugehen, verschwendet er von dieser Summe 8 Dollar an eine Prostituierte - um nicht mit ihr ins Bett gehen zu müssen.
Von seinen letzten Nickeln geht er in ein Cafe und beobachtet dort die mexikanische Kellnerin Camilla. Es entwickelt sich zunächst ein makabres Spiel, bei dem jeder den anderen möglichst tief verletzen will. Arturo kompensiert damit die Anfeindungen, denen er in seiner Kindheit durch ausländische Nachbarskinder ausgesetzt war. Später entsteht eine zum Scheitern verurteilte Hassliebe.
Seine Beziehung zu Los Angeles ist gleichermaßen ambivalent. Einerseits liebt er die graue Seite der Stadt: ihre Zuhälter und Prostituierten, die Kleinganoven und Einzelhändler, die Tagediebe und Taugenichtse. Andererseits verdammt er ihre Härte gegen die Gescheiterten, die sie aussaugt, umbringt und dann auf den Abfallhaufen des Vergessens spuckt. Überhaupt zeichnet Fante seinen stark autobiographischen Charakter sehr ambivalent. Hin und Her gerissen zwischen seinen Begierden und seiner erz-katholischen Erziehung scheitert er beim Ausleben seiner Fantasien. Einerseits verdammt er diese, hat jedoch immer eine passende Ausrede zur Hand, um sein Versagen nicht sich selbst, sondern seinen erziehungsbedingten Skrupeln zuzuschreiben. Fante ist bei den Attacken gegen den Katholizismus sehr erfindungsreich. Beispielsweise ernährt sich eine Maus, die in seinem Zimmer wohnt und die er bisher immer mit Brot gefüttert hat, von den Seiten einer alten Bibel, als Brot mehr da ist.
Ein sprechender Musiker muss kein Rapper sein
Skeptische Kritiker könnten angesichts der Tatsache, dass ein Musiker ein Hörbuch lesen soll, in Angstschweiß ausbrechen. Experimente dieser Art gab es schon. Erinnert sei hier nur an die rheinländische Vertonung von Bob Dylans Autobiographie durch das Kölner Musiker-Urgestein Wolfgang Niedecken. "Ich - Arturo Bandini" wird von Michael Hansonis gelesen. Dieser ist zufälligerweise auch ein Kölner - und auch legendärer Musiker. Doch von rheinländischer Gemütlichkeit hört man bei seiner Lesung nicht den leisesten Anklang. Hansonis setzt seine sanfte, dunkle Stimme nuancenreich ein. Mit dem Gespür des Musikers für das perfekte Timing und dem Gehör für unterschwellige Strömungen bringt er dem Hörer auch leiseste Zwischentöne zu Gehör. Geschickt setzt er seine Sprechweise als Kontrapunkt zum Sprachrhythmus Fantes ein und folgt damit exakt der Anlage Arturos als ambivalentem Charakter. Das Resultat ist bemerkenswert, denn durch Hansonis feinsinniges Sprach- und Rhythmusgefühl entstehen im Kopf des Hörers unbeschreiblich detaillierte und intensive Bilder des alles verschlingenden Molochs Los Angeles, seiner Bewohner, ihrer Ängste, Begierden, Laster und Hoffnungen. Kein visuelles Medium kann an die äußerst gelungene Adaption dieses Romans der amerikanischen Moderne in ein hervorragendes Hörbuch heranreichen - nicht einmal als Spielfilm mit großer Starbesetzung. Davon können wir uns leicht selbst überzeugen: Ende 2006 kommt "Ich - Arturo Bandini" mit Colin Farrell, Salma Hayek und Donald Sutherland in die Kinos.

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