Theorie und Praxis der Interkulturalität
Dieser Band wurde als "Handbuch" konzipiert, das grundlegende theoretische Voraussetzungen interkultureller Arbeit, Anwendungsgebiete sowie Methoden und Interventionsformen darstellen soll. Außerdem soll der segmentierte Diskurs zusammengeführt werden. Pädagogik oder Sozialarbeit, die sich mit der Bewältigung von Migrationsfolgen befassen, nehmen kaum die Forschung zu transnationalen Begegnungen auf der Ebene von Institutionen z.B. der EU oder in wirtschaftlichen Beziehungen beim Management oder im Team zur Kenntnis und umgekehrt. In Deutschland gibt es außerdem wenig Forschung und entsprechend geringe Kenntnis darüber, wie andere Staaten ähnliche oder ganz verschiedene Probleme angehen. Entsprechend umfangreich ist das Werk.
Die Realisierung dieses Projekts als Sammelband führt allerdings einerseits zu Überschneidungen bei den einzelnen Aufsätzen, andererseits bleiben einzelne Artikel recht isoliert und sind teilweise auch zu kurz, so dass interessante Gedanken nur angedeutet werden. Beispiele, welche das Ganze veranschaulichen könnten, sind knapp. Erfreuliche Ausnahmen bilden da die Aufsätze von Vera King zu "Weiblicher Adoleszenz und Migration", von Jacques Pateau über "Deutsch-französische Arbeitsgruppen" in Unternehmen oder von Hagen Kordes zum "Interkulturellen Umgang mit Fremdheitserfahrungen".
Bei den Anwendungsbereichen sind lediglich die Gebiete "Schule" und "Management" angemessen repräsentiert. "Gesundheit" hingegen wird mit einem einzigen Aufsatz abgehandelt, "soziale Arbeit" mit zweien. Im Kapitel "Internationale Begegnungen" werden ebenfalls nicht die angekündigten Begegnungen zwischen Institutionen behandelt, sondern der Schüleraustausch. Regelrechte Außenseiter in diesem Band sind der Aufsatz von Nicole Gabriel und Hans Nicklas zur "Europäischen Erinnerungskultur", wo ein Vergleich der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Deutschland und der Geschichte von Collaboration und Résistance in Frankreich gezogen wird. Auch Dieter Prokops Gedanken zur "Suprakulturindustrie" stehen isoliert da.
Trotzdem enthält dieses Buch viele wichtige Facetten und bietet Denkanstöße. So macht etwa Rosi Wolf-Almanasreh deutlich, dass Lehrerinnen und Lehrer an deutschen Schulen - ganz im Gegensatz zu ihrer Selbstwahrnehmung - Kinder mit Migrationshintergrund im Voraus etikettieren und dadurch diskriminieren und beispielsweise ein diagnostiziertes Sprachdefizit als Hinweis auf allgemeine Leistungsdefizite und Integrationsunwilligkeit wahrnehmen. Weil Diskriminierung tabuisiert wird, kann darüber nicht gesprochen werden. Den Kindern und Jugendlichen wiederum ist der Zusammenhang zwischen eigener Aggressivität und ihren Erfahrungen des Zurückgesetzt- und Abgesondert-Werdens nicht bewusst. Entsprechend befreiend ist es, wenn endlich einmal über solche Erfahrungen gesprochen werden kann. Hagen Kordes zeigt auf, wie Fremdheitserfahrungen, die sich in negativen Zuschreibungen äußern, tiefenpsychologisch fundiert pädagogisch angegangen werden können.
Interessant ist auch der Aufsatz von Hora Tjitra und Alexander Thomas. Sie zeigen, dass in vielen asiatischen Kulturen, also Kulturkreisen, "in denen starke Harmoniebestrebungen, große Machtdistanz, eine heterogene Gesellschaft und ein unberechenbares politisches System vorherrschen", ein hohes Maß an interkulturellem Verstehen die wichtigste Bedingung darstellt, "um produktiv in einer kulturellen Überschneidungssituation handeln zu können" (S. 252). Einfühlung in kulturelle Unterschiede, diese anzuerkennen und zu respektieren erhöht aber allgemein die interkulturelle Kompetenz und führt zu einer Synergieentwicklung. "Je höher die interkulturelle Kompetenz der Personen ist, desto höher ist die kulturelle Heterogenität, die sich die Gruppe erlauben kann. Je höher die kulturelle Heterogenität der Gruppe ist, desto komplexer können die Aufgaben sein. Je komplexer die zu bearbeitenden Aufgaben sind, desto größer sind die möglichen Synergiepotentiale." (S. 256) Entsprechend sollte man kulturelle Konflikte nicht nur als Bedrohung und Störung ansehen, sondern auch als Chance zur Entwicklung verbesserter interkultureller Kompetenz, wodurch die Potentiale einer Gesellschaft besser genutzt werden können.
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