Satire vom Feinsten
Ein köstlich amüsantes Lesevergnügen, das seinesgleichen sucht. Die Raffinesse von Glattauers neuem Roman ist derart delikat, dass man versucht ist, Vergleiche aus der Kulinarik heranzuziehen. Wer nicht nur oben und unter, sondern auch zwischen den Zeilen lesen kann, dem wird ein literarisch-sprachlicher Genuss zuteil, wie man ihn nur in Ausnahmefällen erlebt: Selten so gelacht! Ein süffisanter Kommentar zum Literaturbetrieb, ein "Roman zur Zeit". "In einem Zug" liest sich in einem Zug. Ein echter Pageturner.
Wien - München im Viererabteil zu zweit
Dabei ist die Satire so einfach wie genial gestrickt: Glattauer setzt zwei Personen in einen Zug nach München und lässt sie ein Gespräch beginnen. Die einzelnen Kapitel des Romans bilden die Stationen, die der Zug auf der Wegstrecke macht, was die Spannung immer mehr steigert. Ein offenes Gespräch über Gott und die Welt, wie es nur zwischen Fremden möglich ist. Eine Hommage an den Zufall, der sich eben nur beim Zugfahren ereignet, denn wo lernt man denn heute noch Leute in real kennen? Im Internet? Sicher nicht. Die Rahmenhandlung steuert so unweigerlich auch auf einen dramatischen Höhepunkt zu, wie der Zug die einzelnen Stationen ansteuert. die Peripetie ereignet sich kurz vor der Ankunft im Endbahnhof, dem Hauptbahnhof München. Eduard Brünhofer, ein Autor von Liebesromanen, hat einen Termin bei seinem Verleger in der bayrischen Hauptstadt. Seit mehr als einem Jahrzehnt fällt ihm nichts mehr ein, jedenfalls nicht zur Liebe oder zu Liebesromanen. Dabei ist er glücklich verheiratet und hat auch eine Tochter. Regina und Tanja sind sein ganzes Glück, das er mit niemandem teilen will. Doch dann sitzt er zufällig einer Frau gegenüber, Catrin Meyr, wie sie ihm facettenreich buchstabiert, ein komplizierter Name. Die Zufallsbekannte beginnt sich für ihn zu interessieren und löchert ihn alsbald auch zu seinem Privatleben. Dass sie Therapeutin ist macht ihn zwar stutzig, aber nicht weniger redselig. Ein paar Mini-Fläschchen aus dem Zugrestaurant tun ihr übriges und schon liegt Eduard Brünhofer nackt ausgestreckt vor ihr. Bildlich gesprochen.
Zug um Zug ein literarischer Leckerbissen
"Mir war bewusst, was ich gerade anrichtete, aber ich konnte nicht mehr gegensteuern. Ich lag auf dem Rücken, und es fühlte sich an, als wäre ich Kafkas Käfer", ärgert sich Brünhofer. Aber "In einem Zug" wäre kein Glattauer, wenn sich die Handlung nicht plötzlich in ihr Gegenteil verkehren würde. Der Plot Twist hat eine überraschende Pointe, die hier natürlich nicht verraten wird. Nur soviel: im Zug muss man sich zwar nicht anschnallen, aber "In einem Zug" ist es dringend zu empfehlen. Die Pointen sind satt und voller Ironie, nie beleidigend oder zynisch, eine feine Klinge wie vom Chirurgen, so exakt. Der Höhepunkt ist gut herausgearbeitet und steuert dramaturgisch vielversprechend auf die Peripetie zu. Gleichzeitig verrät Glattauer durch Brünhofer auch sehr viel über sein eigenes Schriftstellerleben, denn die selbstkritischen Gedanken von Edi lassen durchaus Rückschlüsse auf den sympathischen Autor voller Selbstironie zu. "Die Vorstellung lebt von der Fantasie, die Erfahrung macht sie zunichte", sagt Eduard zu Catrin, die sich bald duzen. Das Gespräch der beiden kreist um die Freiwilligkeit der Freiheit, die Liebe, das Autorendasein, Sex, aber auch Alkohol. Wie es Eduard Brünhofer dann doch noch gelingt, kurz vor dem Einfahren in der Endstation Hauptbahnhof München, den Spieß umzudrehen und Catrin zu entlarven ist wohl ein Bravourstück der Literaturgeschichte. Aber auch ein bissiger Kommentar zu dem, was heute noch echt ist und nicht inszeniert, zum Leben im Medienzeitalter, in dem Thrill und Skandal mehr zählen, als die Echtheit und Ehrlichkeit zwischenmenschlicher Beziehungen. Und vor allem: ein Plädoyer für den Dialog, das Gespräch.
"Satire ist die zeitgemäße Ausdrucksform zur Beschreibung der nackten Wirklichkeit, um nicht `bittere Realität´ zu sagen", resümiert Brünhofer. "Satire ist die einzige objektivierbare Wahrheit abseits der Werbung und jedenfalls keine Kunstform mehr, so auch keine Herausforderung für die Literatur" steht da selbstironisch. Denn tatsächlich ist Satire die höchste Form der Literatur, die Glattauer in "In einem Zug" so gut gelungen ist, dass man vom "Roman zur Zeit" sprechen möchte. Ein großartiges Lesevergnügen.

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