Innenleben
Poetische Betrachtungen, in Verse geformt, hat Sirka Elspaß in ihrem Debütband vorgelegt – wehmütig, traurig, melancholisch und gelegentlich mit andeuteten Hoffnungsspielräumen, die Ausblicke zumindest als nicht ausgeschlossen erscheinen lassen. Die junge Dichterin zeigt einen Weg nach innen auf, der gewissermaßen in das weite und mitunter trostlose Land der Seele führt.
Zu Beginn berichtet ein trauriges lyrisches Ich ahnungsvoll schwebend von einer paradiesisch anmutenden Kindheit. Wir kennen leuchtende Kinderaugen, zarte Geschöpfe, die spielerisch und unbeschwert die Welt für sich erkunden – und noch in einer scheinbar ganz anderen Welt leben, die nichts vom Bösen weiß. Was aber wäre, wenn die Macht des Negativen bereits am Anfang sich abzeichnen sollte? "und wenn die welt von anfang an genau so wäre / wie sie wirklich ist wer würde bleiben wollen ich sicher / nicht …" Dieser Grundton der Traurigkeit bleibt. Doch wer resigniert, der hört vielleicht auch zu schreiben auf: "ich schreibe weil ich denke / dass es mir nochmal nützlich sein könnte". So notiert die Autorin, so denken wir, lyrische Momente, kleine Impressionen und schwerblütige Gedanken. Doch wird aufgrund von Nützlichkeitserwägungen gedichtet? Wer mit dem Handwerk der Poesie vertraut ist oder sich vertraut macht, der ahnt oder weiß, dass viele Dichter dichten, weil sie dichten möchten, zunächst für sich, dann auch für andere. Das Gedicht selbst erscheint oft vollkommen unnütz und schlechthin überflüssig in einer Welt, in der alles gemessen wird und viele vermessen auftreten, die wirklich schönen Momente – mitunter schön und traurig zugleich – nicht einmal bemerken: "ich höre jemanden sagen / immer wenn es regnet begegne ich / dem himmel". So öffnet sich im Erlebnis Regentropfen tatsächlich die Begegnung mit dem erträumten Droben, die konkrete Berührung mit dem Himmel nimmt Gestalt an, wird fühlbar und lässt uns lächeln. Oder auch traurig sein. Für diese Zweideutigkeit, die in vielem oder fast allem liegt, findet die junge Dichterin Worte in "gleichzeitigkeit":
"ich weine und gratuliere dem
der sich das hier alles ausgedacht hat"
Verbirgt sich hinter den endlos anmutenden Unvollkommenheiten doch ein großer Plan? Eine geheimnisvolle Absicht? Die Fantasie des Lesers darf den Gedanken erwägen, aufnehmen und fortspinnen.
Die Wahrnehmung der Künstlerin gilt auch "Blumen", die "einfach so zwischen den Steinen hervor" kommen – dürfen sie gepflückt werden oder nur bestaunt? Vielleicht genügt es, sie anzuschauen und sie dort zu belassen, Blumen, die nicht wissen, "dass sie da / nicht gewollt sind". Denn alles soll akkurat und perfekt geordnet sein in dieser Welt, für Blumen "zwischen den Steinen" ist kein Platz vorgesehen, ein farbenfroher Wildwuchs also, und der Gesprächspartner des lyrischen Ichs meint – "das berührt mich immer sehr". Vielleicht ist es ein Trost, dass die Welt im Letzten doch nicht den Vorstellungen, Meinungen und Ideen der Menschen entspricht. Blumen wachsen dort, wo sie nicht gewollt sind. Wer inwendig stark bewegt, manisch aufgewühlt oder auch depressiv ist, darf Frieden schließen mit sich selbst – doch gelingt dies?
"ich setze mich mit
meinen gefühlen
an den tisch und
hisse die friedensflagge"
Wir ahnen lesend: das klingt schön, aber es genügt nicht. Für einen Moment mag Ruhe einkehren in dem Gemüt, das keine innere Ruhe kennt.
Ein abschließender Rat der Dichterin bleibt: Niemand müsse heiter sein, aber jeder dürfe "jedes crescendo" mitnehmen:
"seien Sie sanfter zu sich als Sie es sind und
lesen Sie den nächsten satz mehrmals
niemand steht über den dingen
wir stehen alle mittendrin"
Das könnte stimmen, denken Sie nicht auch? Vielleicht nehmen wir, Sie und ich, uns die Empfehlung der Lyrikerin zu Herzen. Wer "mittendrin", mitten im Leben steht, wird nicht allem entrückt sein und es oft auch nicht einfach haben, schon gar nicht mit sich selbst. Während wir dies aber erkennen und wissen, dürfen wir sanft zu uns selbst sein – und zu unseren Mitmenschen auch. Sirkas Elspaß' Verse laden zu Achtsamkeit und Nachdenklichkeit ein, mitten im Leben, hier und heute.
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