Literatur > Sex oder: Die Idealisierung des Dick
20 Jahre nachdem das Original in New York erschienen ist, wurde dieses feministische Diskursbuch endlich auch in die deutsche Sprache übersetzt und der Titel dankenswerterweise auch im Original beibehalten. Denn die Anspielung auf "Dick", was im Englischen so viel wie Schwanz bedeutet, würde auf Deutsch doch seltsam linken und seiner Ambivalenz beraubt: "Ich liebe Schwanz".
Ménage à trois im Briefroman
"Wir lieben uns in der Hoffnung, uns an jemandem festhalten zu können, um nicht zu fallen", heißt es unter Punkt 36 der Auflistung der "Notizen zur Schizophrenie", die mit dem Violent Femmes Song "Add it up" übertitelt sind, auch das natürlich eine wohlkalkulierte - und auch temperierte - Anspielung. Die Protagonistin des Romans, Chris, gibt sich auf den letzten 47 Seiten ihres autobiographischen Romans dieser zügellosen und atemberaubenden Aufzählung hin und läuft dabei zu Hochform auf. Die moderne Dreiecksgeschichte zwischen Chris, Sylvère und dem titelgebenden "Dick" ist ansonsten allerdings in Briefform verfasst, ein Literaturgenre, das seit dem 19. Jahrhundert - man erinnere sich an Rousseaus "Emile - Roman einer Erziehung" - eigentlich in der modernen Literatur als ausgestorben gilt. Die sehr konservative Form des Briefromans "I Love Dick" täuscht aber über dessen recht progressive Inhalte hinweg, denn "I Love Dick" ist nichts weniger als ein Manifest der feministischen Liebe am Ende des 20. Jahrhunderts.
Der Objektcharakter der Frau der Zazous
Die Autorin und Protagonistin Chris zitiert eine Vielzahl von Biographien von Schriftstellern und Künstlern - darunter sogar den Österreicher Peter Handke - und zeigt, dass sie zwar nicht studiert hat, wie sie kokett selbst von sich sagt, dafür aber sehr belesen ist. Eine schier endlose Welle an name-droppings überschlägt sich zwischen den Buchseiten von "I Love Dick", bei der vor allem auch weibliche Exponentinnen - wie etwa Hannah Wilke, Katherine Mansfield und oder Louise Bourgeois vorgestellt werden, für die wohl alle gilt, was Flaubert zu Louise Colet gesagt haben soll: "Du hast die Angst zu einem Ventil der Leidenschaften gemacht, zu einer Art Nachttopf, um den Überlauf von was auch immer aufzufangen. Das riecht nicht gut! Es riecht nach Hass." Frauen würden nämlich immer auf ihren Objektcharakter reduziert und wenn eine Frau schreibe, schreibe sie immer nur als Opfer ihrer Gefühle, aber niemals als Schriftstellerin. "Als könne für eine Frau der einzig mögliche Grund, sich öffentlich zu entblößen", schreibt Kraus, "selbsttherapeutischer Natur sein. Als ginge es eben nicht gerade darum, die Umstände der eigenen Objektivierung bloßzustellen". 1980 habe die Village Voice Hannah Wilkes Vagina als "vertraut wie einen alten Schuh" bezeichnet, aber hätte das jemals jemand über Chris Burdens Penis gesagt? "Zu existieren anstatt Existentialistin zu sein, Objekte zu machen, statt Objekt zu sein", genau das würde Frauen - von Männern - niemals zugestanden.
Die Idealisierung des Dicks
Die Kritik an der patriarchalen Dominanz in der Kunstwelt - die sicherlich berechtigt ist - wird allerdings konterkariert durch die Idealisierung von "Dick", dem nicht nur Chris, sondern auch Sylvère pausenlos Briefe schreiben. Im zweiten Teil des Buches trennt sich Chris sogar von ihrem Ehemann Sylvère und schreibt ihm alleine weiter, bis er, Dick, endlich am Ende des Buches antwortet. "Und bedeutet Aufrichtigkeit letztlich nichts anderes als die Verweigerung der Komplexität?", heißt es an einer Stelle des Romans bedrohlich wahrheitsgetreu. Das Buch ist voller Informationen über die New Yorker Kunstwelt und das Leben in Wellington, Neuseeland. Kluge Sätze über das Leben im 20. Jahrhundert, die auch im 21. Jahrhundert noch Gültigkeit haben oder Wortspiele wie "Connect-i-cut" und die Apotheose des Lesens und der Literatur: "(...) Das ist viel besser als Sex. Lesen hält, was Sex verspricht, doch kaum je einlösen kann - größer zu werden, weil man die Sprache einer anderen Person betritt, ihre Kadenz, ihr Herz und ihr Denken." Aber warum kann sie Dick nicht einfach als Dick sehen? Literatur > Sex.
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