Wie es auf der Welt zugeht
Herbert Riehl-Heyse hat mehr als drei Jahrzehnte für die Süddeutsche Zeitung das politische und gesellschaftliche Leben in Deutschland beschrieben. Der hier vorliegende, schön gestaltete, von Gernot Sittner herausgegebene Band, versammelt Reportagen und Essays, die in Buchform aufzubewahren sich lohnt.
Sicher, Journalisten schreiben für den Tag, doch gelegentlich weist das für die Tageszeitung Verfasste eben auch über diesen Tag hinaus. Wäre ja auch etwas eigenartig, wenn dem nicht so wäre, denn Kriterium für gutes, unterhaltendes und aufklärendes Schreiben (ob mit Blick auf die Ewigkeit oder auf den folgenden Tag verfasst) kann doch eigentlich nur sein, dass eben dieses Schreiben gut, unterhaltend und aufklärend ist. Und Herbert Riehl-Heyses Schreiben ist dies ganz gewiss.
Die Auswahl, die Gernot Sittner für diesen Band getroffen hat, macht unter anderem deutlich, was für ein breit interessierter Mensch der gelernte Jurist Riehl-Heyse gewesen ist. Da geht es nämlich von Willy Brandt ("fast zu viele Stationen für ein Leben") über ein "Puzzle namens Schmidt" zur Wohlstandskriminalität ("Zugreifen als Breitensport"), von Accessoires in der Jugendkultur ("Die Rasierklinge als Bekenntnis") über Erich Honeckers Verteidigungsrede vor seinen Richtern in Moabit ("Gegeben wird der heldenhafte Kommunist") zum Tatort Fernsehen ("Morden auf allen Kanälen").
Was Herbert Riehl-Heyses Schreiben wesentlich auszeichnet, ist sein Stil - und der ist scheinbar umständlich, fragend, gescheit, witzig, und häufig ironisch. Dazu kommt, dass der Autor in seinen Texten auch selber vorkommt und das ist nicht nur gut so, sondern das ist, wenn man es recht bedenkt, eine der überzeugendsten Formen von Journalismus, denn der Autor macht damit unter anderem deutlich, dass die persönliche, subjektive Seite der Berichterstattung offen gelegt werden soll. Doch ist dieses Sich-Selber-Ins-Spiel-Bringen, wie das Riehl-Heyse gelegentlich vorgeworfen wurde, nicht vor allem eitel? Sicher, eitel ist das auch, doch Eitelkeit ist bei Journalisten (und bei vielen anderen) eine Berufsvoraussetzung und kein Argument. Zudem war Herbert Riehl-Heyse, gemessen an vielen seiner Kollegen, ungewöhnlich zweifelnd und selbstkritisch und wusste sich zurück zu nehmen.
Doch nehmen wir ein Beispiel und zwar "Das verlorene Rezept der Sterneköche", ein Text von Ende Dezember 1995, der von der Spitzengastronomie in der Krise (so der Untertitel) handelt, doch eben, wie wir gleich sehen werden, nicht nur von dieser, sondern von weit mehr, nämlich vom Leben insgesamt und wie darin alles irgendwie miteinander verknüpft ist. Der Text beginnt so:
"Ohnehin ist die Stimmung nicht übertrieben gut an diesem trüben Wintertag - nicht draussen, wo dem Unbehausten der Nebel unter den Burberry kriecht, und auch drinnen nicht, im altehrwürdigen "Schwarzwälder", wo in düsteren Räumen 21 Gäste bei Hummercremesuppe und Entenfleischpflanzerl ein wenig verloren wirken. Nebenan im Bistro des Restaurants ist es voller, es wäre dort sogar ziemlich gemütlich - wenn nicht plötzlich der Chef am Tisch stünde, fahl im Gesicht: Ob wir es schon gehört hätten? Wir erschrecken beachtlich: Ist ein Flugzeug abgestürzt, gar Moshammer verblichen? Viel schlimmer: "Der Winkler hat seinen dritten Stern verloren." Bedrücktes Schweigen, Otto Koch spendiert ein tröstendes Pils.
Man könnte die Anekdote natürlich auch ganz anders erzählen, ohne jede Ironie, ganz nüchtern. Dann bräuchte man nur kurz zu berichten, dass dem Gastronomen und Koch Heinz Winkler und seinem Etablissement "Residenz" in Aschau am Chiemsee der dritte Stern im Michelin-Führer aberkannt worden ist, jener Stern, mit dessen Hilfe es zu einem der drei Spitzenrestaurants in Deutschland ausgerufen worden war. Damit könnte man es denn bewenden lassen, weil eine solche Nachricht nun wirklich nur eine der allerkleinsten Katastrophen ist in einer manchmal katastrophalen Welt. Einerseits.
Andererseits - was einer als Katastrophe empfindet, ist vor allem seine Sache und eine Sache der Welt, in der er lebt: In der sehr kleinen Welt der Kochkunst gilt es ja schon als Katastrophe, wenn ein Gast zur Seezunge mit Champagnersauce ein Bier bestellt."
Na, neugierig geworden? Soviel sei zum Fortgang dieser Geschichte verraten: dieser Text handelt nicht nur von Köchen und Küchen, sondern auch davon, wie in der kulinarischen Provinz Deutschland eine neue Zeit anbrach, und davon, dass man gleichwohl mit ökonomischen Problemen zu tun hat, auch wenn man einem Paar für Essen und Trinken 600 Mark berechnet und und und. Doch vor allem handelt dieser Text …, doch wir lassen dies am besten Riehl-Heyse selber sagen: "Wer erzählen will, was da in einer sehr überschaubaren Szene passiert, erzählt gleichzeitig auch ein wenig vom Lauf der Zeit insgesamt: davon, was sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelt hat in der Republik und was sich gerade wieder zurückentwickelt und was daran sinnvoll sein könnte, und was nicht." Dies gilt nicht nur für diesen Text, es gilt für seine Text generell..
Herbert Riehl-Heyse hat einmal gesagt, es gehe ihm darum, den Leuten (und vermutlich auch sich selber) zu erklären, wie es auf der Welt zugehe. Dass ihm dies ganz hervorragend gelungen ist, zeigt das vorliegende Buch eindrücklich.
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