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Ernest Hemingway: In einem andern Land

Ein Roman, in dem es immer regnet

"Nein", sagte ich, "es gibt nichts zu sagen."
"Gute Nacht", sagte er, "Ich kann Sie nicht zu Ihrem Hotel bringen?"
"Nein, danke."
"Es war das Einzige, was ich machen konnte. Die Operation erwies sich …"
"Ich will nicht darüber reden", sagte ich.
"Ich würde Sie gern zu Ihrem Hotel bringen."
"Nein, danke."
Er ging den Flur hinunter. Ich ging zur Zimmertür.
"Sie können jetzt nicht hereinkommen", sagte eine der Schwestern.
"Doch, ich kann", sagte ich.
"Sie können noch nicht hereinkommen."
"Raus hier", sagte ich. "Und die andere auch."
Doch als ich beide draußen hatte und die Tür zu war und ich das Licht ausgemacht hatte, half das nichts. Es war, als würde man sich von einer Statue verabschieden. Nach einer Weile ging ich hinaus und verließ das Krankenhaus und ging im Regen zurück zum Hotel.

Wenn es stimmt, dass Ernest Hemingway den Schluss seines Romans "A Farewell to Arms", deutsch: "In einem andern Land", 47-mal umgeschrieben hat, hat er gut daran getan. Das Ergebnis ist perfekt. Keine überflüssige Zeile, kein überflüssiges Wort - und nichts, was man hinzufügen müsste. Die Frau, die der Ich-Erzähler liebt, ist gerade gestorben, an dem Kind, das beide gemacht haben und den Vater nicht mehr interessiert. Was gibt es da noch zu tun oder zu sagen?

1929 hat Hemingway diesen Roman geschrieben, der an der Isonzofront im weltkriegsgeschüttelten italienisch-slowenischen Grenzgebiet von 1918 angesiedelt ist. Ein Vierteljahrhundert sollte noch vergehen, bis er den Literatur-Nobelpreis bekam. Am 28. Oktober 1954 war das, und das Stockholmer Komitee lobte "seine kraftvolle Meisterschaft des Wortes, die sich besonders in 'The Old Man and the Sea' manifestiert hat." Die Erzählung, ein Spätwerk, über den Kampf eines einsamen Fischers zunächst mit einem Schwertfisch und anschließend, nachdem er seine Beute in Sicherheit bringen will, mit den Haien, welche sich einen solchen Leckerbissen ebenfalls nicht entgehen lassen wollen, erreicht in der Lakonik der Dialoge und der Redundanz der Dramaturgie längst nicht die Meisterschaft von "A Farewell to Arms". Hemingways Abgesang an den Großen Krieg hat seine besten Szenen in den Beschreibungen abseits des Kampfgeschehens. Entstanden ist so ein Roman, in dem es ständig nieselt, plätschert oder schüttet. Nie ist ergreifender über Regen geschrieben worden.


von Ralf Höller - 30. Oktober 2014
In einem andern Land
Ernest Hemingway
Annemarie Horschitz-Horst (Übersetzung)
In einem andern Land

Rowohlt 1999
384 Seiten, broschiert
EAN 978-3499226021