SUMO is back
Die Berliner Auktion am 6. April 2000 wäre wohl kaum als so spektakulär in die Auktionsanalen eingegangen, wenn dort nicht ein Buch zur Versteigerung angeboten wäre, wie es kein Zweites vor ihm gab. Es war die erste Nummer eines Mammut-Bildbandes mit Fotografien von Helmut Newton (1920 - 2004), 35 Kilo schwer, 70 x 50 cm groß und von mehr als einhundert abgebildeten Persönlichkeiten signiert. Das gigantische Layout wurde in Analogie zu den massigen japanischen Ringkämpfern zum Namenspaten des SUMO-Bandes. Das Schwergewicht zog damals alle Aufmerksamkeit auf sich. Als der Auktionshammer zum dritten Mal fiel, war die Sensation perfekt und der Band ging damals für sage und schreibe 620.000 DM über den Tisch. Seither ist SUMO das teuerste Buch der Welt. Die damals produzierten und von Newton handsignierten 10.000 Exemplare waren schnell vergriffen. Sammler bieten heute für das Mammutbuch bis zu 10.000 EUR und mehr. Die Ausnahmepublikation ist heute in zahlreichen bedeutenden Kunstsammlungen zu finden.
Verleger Benedikt Taschen war die Triebfeder hinter diesem Projekt. Nicht dass er auf einen solchen Auktionspreis spekuliert hätte. Nein, davon war er selbst überrascht - wenn auch seine Erwartungen sicher nicht gering waren. Taschen wollte seinem langjährigen Freund Helmut Newton ein würdiges Andenken setzen. Nichts schien ihm dazu passender, als dieser 464 Seiten starke Riesenbildband für einen der größten Fotografen des 20. Jahrhunderts, quasi eine gedruckte Ausgabe des Newton’schen Lebenswerks. Spektakulär war der Band auch im verlegerischen Sinne und stellte den Herausgeber vor mehrere Aufgaben. So führte bspw. das große Format dazu, dass fotografische Unreinheiten und kleine Fehler umso stärker sichtbar wurden. Nur die Anwendung modernster Drucktechniken konnte diesen Effekt begrenzen. Zum Band selbst entwarf der renommierte französische Designer Philippe Starck einen Klapptisch, der mit dem Buch mitgeliefert wurde, um sich diesen Mammut überhaupt komfortabel anschauen zu können. Dies war für viele Käufer ein Grund mehr, 1.000 DM zu investieren, um einen der Bände samt Tisch zu ergattern.
Zehn Jahre nach Erscheinen dieses Spektakulariums hat sich Verleger Benedikt Taschen entschieden, dem SUMO-Band einen kleinen Bruder an die Seite zu stellen - halb so groß, gleiche Optik und fast gleicher Inhalt. Begleitet wird das Erscheinen dieser "Volksausgabe" von einer Ausstellung im "Museum für Fotografie - Helmut Newton Stiftung" am Berliner Bahnhof Zoo. Während die Berliner Ausstellung recht umstritten ist, hält die verkleinerte SUMO-Ausgabe, was sie verspricht. Halb so groß präsentiert die Publikation Newtons vielfältige Fotografien, von den Big Nudes, über seine zahlreichen Modeaufnahmen bis hin zu seinen Arbeiten mit zahlreichen Vertretern der amerikanischen und europäischen High Society. Dabei wechseln sich makellose Modells mit einprägsamen Porträtaufnahmen, die die Spuren des Lebens sichtbar machen, ab. Spontane Impressionen stehen neben lang vorbereiteten Aufnahmen. Der Band zeigt die komplette Bandbreite des Menschenfotografen Helmut Newton.
Sein Werdegang als Fotograf war steinig. Mit 12 Jahren kaufte er sich seine erste Kamera für drei Mark fünfzig, um rasender Reporter zu werden. Von den ersten acht Aufnahmen gelang lediglich eine, die des Berliner Funkturms. Aber der Ehrgeiz in Newton war geweckt. Brassaï und Erich Salomon dienten ihm als Vorbilder, als er eine Lehre in dem Studio der damals bekannten Berliner Fotografin Else Simon (Yva) absolvierte. 1938 ging er nach Singapur, von dort nach Sydney, anschließend nach London, Paris und zurück nach Sydney. Fotografisch war diese Zeit nur wenig erfolgreich, privat schon. In dieser Zeit lernte er die Frau seines Lebens kennen, die Schauspielerin June Browne (alias June Brunell oder Alice Springs). Erst als er mit ihr 1961 für längere Zeit nach Paris zog, ging es bergauf. Mit einem festen Vertrag arbeitete er fortan für die französische Vogue, seine Arbeiten erhalten ikonischen Charakter. 1975 eröffnet seine erste Einzelausstellung, ein Jahr später erscheint sein erster Bildband.
Erst 1980 fotografierte er die erste seiner Big Nudes. Die Idee für die ebenso entblößenden wie selbstbewussten weiblichen Ganzkörperakte lieferten ihm die Fahndungsfotos der deutschen Polizei nach der Baader-Meinhof-Gruppe. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass diese Aufnahmen weniger von der Nacktheit der abgebildeten Frauen als vielmehr von deren Posen und selbstbewussten Gesichtsausdrücken leben, als wollte der Fotograf mit diesen Aufnahmen die Angst eines Fahndungsplakats einfangen. Fünf dieser Big Nudes empfangen nun den Besucher in der eigens geschaffenen Stiftung als unauslöschliche Ikonen von Newtons Werk.
Wer deshalb aber meint, Newton sei sein Leben lang Aktfotograf gewesen, sieht sich getäuscht. Newton selbst betonte immer wieder, dass es einfacher sei, eine angezogene Frau zu fotografieren, als eine Nackte. Die Nacktheit aber bot ihm eine einzigartige Möglichkeit der Reduktion auf das elementare Zusammenspiel von Körper und Gesicht, von Haltung und Mimik. Das Gesicht in Newtons Aufnahmen ist elementar. Ein Akt ohne Gesicht sei unehrlich, kommentierte Newton stets seine Fotografien. Alles andere wird zur Kulisse und die größtmögliche Ehrlichkeit tritt zutage. Ein verbergen hinter Kostüm oder Haltung ist auf Newtons Aktaufnahmen nicht mehr möglich.
Das besondere an Newtons fotografischem Werk ist der Magnetismus, mit dem er das Weibliche auf magische Weise in den Vordergrund zieht. Seine Modelle umweht dabei stets eine kühl-elegante, nahezu distanzierte Aura, mit der er das Besondere schafft. Erst diese Stimmung, meist noch durch die Kulisse verstärkt, schafft die knisternde Spannung in seinen Bildern, die die Keimzelle der Fantasie und Faszination des Betrachters ist.
Der nun vorliegende SUMO-Band liefert ohne Qualitätsverluste all das, auch im kleineren Format, und ist, wie schon sein Vorgänger, das Dokument eines Lebenswerks.
Es bleibt am Ende, zwei Dinge anzumerken:
1. Schön, dass nun mehr Menschen an diesem Lebenswerk teilhaben können. Zwar ist der Kaufpreis von 100 Euro immer noch kein geringer, aber für Fans der guten Fotografie allemal lohnenswert.
2. Bedauerlich, dass der Band wohl nichts weiter ist, als das Resultat einer klugen Verlagsstrategie, um aus einem großen Werk noch einmal ordentlich Profit herauszuholen. Die Berliner Ausstellung beweist dabei, dass in Zeiten der Krise nicht mehr Museen Ausstellungskataloge drucken, sondern Verleger Museen ihre Bücher bewerben lassen. Denn was hauptsächlich im Newton-Museum an der Wand hängt, ist nichts anderes, als eine zerschnittene Ausgabe des Mammut-Bandes von 1999. Die wenigen Originale sowie die durchaus sehenswerte Fotokollektion "Three Boys from Pasadena", die Bilder von Mark Arbeit - George Holz - Just Loomis (drei ehemalige Newton-Assistenten) zeigt, gehen dabei leider unter. Die einstündige Dokumentation zur Sammlung der Signaturen für die versteigerte Erstausgabe beweist nur einmal mehr, dass es hier nicht primär um Helmut Newton, sondern um seinen Verlag geht.
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