100 Jahre Bukowski: Held außer Betrieb
Nach "Das weingetränkte Notizbuch" und "Noch mehr Aufzeichnungen eines Dirty Old Man" (beide ebenfalls bei Fischer) folgt dieser abschließende Band aus dem Nachlass von Charles Bukowski, der dieses Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Ein guter Anlaß übrigens seine mehr als 40 Bücher einer Re-Lektüre zu unterziehen. Denn gelesen haben wir ihn damals alle, auch wenn es heute keiner mehr zugeben möchte.
Poet der Gossensprache
"Die Götter meinen es insofern gut mit mir, als sie mich extreme Reaktionen hervorrufen lassen – die Leute stehen auf mich, oder sie hassen mich wie die Pest." Dabei war es gerade Bukowskis Verdienst, die hohe Literatur von ihrem Podest zu holen und auch Menschen zugänglich zu machen, die sonst nicht lesen würden. Bukowski scheute sich nicht, Tabuthemen wie Nekrophilie, Sadomasochismus oder Fetischismus anzusprechen. So auch in "Die Geschichte eines Vergewaltigers", in der er die Position des vermeintlichen Vergewaltigers einnimmt, um die Hysterie um das Thema zu brandmarken. Denn der Vergewaltiger wird in seiner Story zum Opfer und Sündenbock der Gesellschaft - impersonifiziert in Mrs Weber - da alles nur auf einem Mißverständnis beruht. Mutig war bei Bukowski aber auch immer seine Sprach- und nicht nur seine Themenwahl. Bukowski schreibt, wie andere sprechen und mit seinem lakonischen Humor skizziert er ein Bild des amerikanischen Albtraums ohne großspurige Versprechungen. Seine Protagonisten sind stets die Verlierer der Gesellschaft. Für sie schlug sein Herz. Lyrischer Realismus nennt sich das wissenschaftlich, Poesie der Gosse umgangssprachlich.
Aus Liebe zu den Frauen
"Wer sich gut aussucht, was ihn bewegt, bleibt in Bewegung." Und das hat Bukowski gut gewählt. Er schreibt über Pferderennen, seine Erlebnisse auf Tournee bei seinen Lesungen, aber auch über seine wirkliche Beziehung zum weiblichen Geschlecht: "Mein Problem ist, dass ich mich in jede Frau verliebe, mit der ich schlafe. Ich ficke gut, bin aber zu sehr mit dem Gefühl dabei. Wenn mir eine Frau ihren Körper schenkt, ist das für mich, als ob sie mir ihre Seele schenkt, das macht mich mit an. Und im ganzen Akt schwingt dann etwas von Tod, Mord und Eroberung. Vor allem aber erfüllen mich Zärtlichkeit und Liebe, und darüber komme ich nicht weg." An anderer Stelle meint er pointiert: "Für Frauen ist es immer besser, einfach gefickt statt verarscht zu werden" und spricht damit wohl auch so mancher Frau aus der Seele, wenn er den männlichen Machismo entblößt. Für jene Männer gibt er in einer dieser Geschichten übrigens auch eine lesenswerte Cunilingus-Anleitung, damit auch die Frauen jener Männer mal auf ihre Kosten kommen. Bukowski, Jahrgang 1920, machte auch mit den Sechzigern und ihren Auswüchsen Bekanntschaft, etwa in einer Geschichte in der er mit selbsternannten Revolutionären Manifeste verteilt, ohne selbst davon überzeugt zu sein. Aber auch die Story von Bozo dem Affen hat es in sich und zeigt sein erzählerisches Talent.
Autor als Stimme des Publikums
David Stephen Calonne fasst es in seinem Nachwort, in dem er auch die Stories in vorliegendem Band rezensiert, so zusammen: "Schranken zwischen Autor und Publikum gibt es nicht. Und er stärkt sein verletzliches, verletztes Selbst mit Ironie, mit subversiver, spöttischer und respektloser Beobachtungsschärfe. Bukowskis Prosa gewinnt mit der Zeit (...)." In vorliegender Publikation finden sich auch Literaturkritiken von Bukowski über Ginsberg, Norse und auch sich selbst. Im Anhang befinden sich neben Anmerkungen auch ein Quellenapparat, aus dem die Erstpublikation mit Erscheinungsdatum hervorgeht, was ebenfalls sehr interessant ist und zu einem Kompendium von Undergroundzeitschriften der Sechziger wird. Obwohl Bukowski nie zur Gegenkultur gehörte, wurde er doch zu ihrem Chronisten.
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