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Heinrich Steinfest: Gewitter über Pluto

Vom Kriminalroman zum konspirativen "Eiertanz"

"Unordnung ist bloß ein Eindruck derer, welche eine Komposition nicht verstanden haben", lässt Heinrich Steinfest seinen Protagonisten Lorenz Mohn am Ende des Romans sagen und mancher Leser mag sich darüber so seine Gedanken machen, auch wenn eigentlich mit dem Abschlussgemälde, der "Komposition", das Attentat auf Claire Montbard gemeint ist, die im Showdown durch eine Luftlinie mit ihrem Killer, Schulter an Schulter, verbunden wird. Die Komposition des Romans jedenfalls zielt auf dieses Schlussmoment hin, entwirft in einer lang angelegten Erzählung von zwei verschiedenen Perspektiven aus, den Mord an der undurchsichtigen mafiösen Claire, die sich dann bald als "so gar nicht von dieser Welt" entpuppt. Demnach ist auch der Gegenspieler von Claire und Lorenz Mohn, Soonwald, der surrealistische "köstliche Leichnam", der am Ende zu Fall kommen muss. Aber deswegen von einem Happyend zu sprechen, noch dazu in einem norwegischen Exil, mag zumindest einem Wiener als deutlich übertrieben erscheinen. Schrödingers Katze lässt jedenfalls vorsichtshalber grüßen! Und wenn wir schon von Edvard Munch nichts hören wollen, so liest sich Steinfests Picasso-Kritik wahrlich wohltuend. Ein 420-Roman also, der es ganz schön in sich hat und so manchen Cheng-Leser vielleicht etwas überraschen wird.

Die Geschichte ist aber weit weniger verwickelt, als sie hier von mir geschildert wird, aber es soll ja auch nicht zu viel verraten werden. Steinfest versteht es zumindest in einem fulminanten ersten Teil, den Leser an seinen Protagonisten, den ehemaligen Pornodarsteller und jetzigen Wollwarenhändler, Lorenz Mohn, zu binden, jedoch verliert sich die Faszination dieser Hauptfigur leider bald für den Schriftsteller selbst, da er sich mehr für seinen interstellaren Gegenspieler, Soonwald, zu interessieren scheint. Besonders amüsant sind aber wieder die Stellen zu lesen, in denen der Autor über die Wiener und Wien herzieht, etwa wenn er von ihr als "almamahlerischer Dame" spricht, die eine klare Stellung des Betrachters nach dem Motto "love me or leave me" verlange. Über die Wiener schreibt er: "Mir waren die Wiener bis dahin nur aus Erzählungen vertraut gewesen, doch offenkundig handelt es sich um Leute, die ihre Klischees noch richtig ernst nehmen. Nie habe ich erlebt, dass Menschen mit derartiger Freude saufen und rauchen und dabei zusehen, wie Hagelkörner ihre Autos zerbeulen." Selbstverständlich ist das nur die Wahrnehmung des Protagonisten, aber manch einer, der Wien kennt, dürfte bei diesen Worten in autoreferenziellen Applaus einstimmen, Ovationen selbstverständlich, "die weniger dem zu bejubelnden Objekt galt als der eigenen Fähigkeit zu Leidenschaft". Applaus sei in der Regel nichts anderes als Sex, schreibt Steinfest an einer anderen dieser vielen einzelnen genialen Stellen, "Gruppensex, freilich autoerotischer Gruppensex", bei dem unzählige Luftgeister zu Schaden kämen. Damit wären wir dann auch beim eigentichen Thema von Steinfest angelangt: das Klischee. "Das ist so ein Klischee, dass die Welt, wenn sie untergeht, damit in Wien anfängt. Wenn man Klischees irgendwo unterschreiben kann, dann hier!" Womit er natürlich vollkommen recht hat.

Dann gibt es da natürlich auch noch das Thema Frauen, resp. die Beziehung der Geschlechter zueinander, die den werten Leser besonders bei Steinfest zustimmend schmunzeln lassen werden. Denn Klischees sind ja besonders dann interessant, wenn sie tatsächlich zutreffen. "Wenn Männer graben, dann hat das immer etwas Verzweifeltes", schreibt er etwa, aber wenn Frauen dies täten, dann gälte ihre Suche einer unentdeckten, nicht einer verlorenen Sache, so wie bei den Männern. Zur Liebe fällt ihm auch einiges ein, wenn er unbestreitbar feststellt, dass zu ihr eine gewissen Portion Todesverachtung gehöre und der Liebende immer ein Soldat sei. Und Lorenz, der Pornostar, verliebt sich und das merkt er nicht zuletzt durch den Druck seines "Kammerwassers, welches gegen die rückwärtigen Augenhäute klatscht, es war der Druck, den man spürt, wenn am Ende eines Films der Held sich opfert. Sinnlos opfert. Nur um die angebetete Frau an einen anderen zu verlieren." Casablanca, ahoj! Kann sich ein Ex-Pornostar denn auch wirklich verlieben? Steinfest oder sei es auch nur sein Protagonist, Lorenz, mag es jedenfalls durchaus auch garstig: "Frauen geben sich große Mühe, so lange auf einen Gegenstand einzureden, bis der Gegenstand seine Form verändert." Aber dann auch wieder ganz charmant: "Claire schenkte mir einen Honigblick, in dem jeder Löffel rettungslos stecken geblieben wäre."

"Die Dinge kommen als Witz daher. Aber wir lachen nicht. Wir nehmen alles ernst. So lange, bis es auch ernst ist." Ähnliches könnte man auch über "Gewitter über Pluto" sagen, denn was als vergnüglicher, abenteuerlicher Kriminalroman daherkommt, indem sogar ein Mord wegen eines Fossils geschieht, ein griechischer Kommissar eine heiße Spur nach Solnhofen ausgerechnet gemeinsam mit dem Hauptverdächtigen verfolgt und eine Schubertsängerin auf ihrer Klaviatur in ihrer Küche zum Singen gebracht wird, entwickelt sich bald zu einem konspirativen "Eiertanz" (Zitat), bei dem der Planet Pluto dann doch tatsächlich auch noch eine wichtige Rolle bekommt und auch die Amis ihr Fett wegkriegen: "Das haben die Amerikaner nämlich bislang nicht begriffen, dass es der schlechte Kaffee ist, der aus ihnen so schlechte Menschen macht. Und es folglich recht einfach wäre, dies zu ändern. Schade!" Lorenz Mohn weiß jedenfalls wo man - zumindest in Wien - den besten Kaffee, bei der Aida nämlich und das ist jetzt leider keine bezahlte Werbeanzeige, weder bei Steinfest noch bei mir: "Das ist ein häufiges Problem, dass manche Tugend nur dadurch besteht, dass sie unerkannt bleibt."

Aber auch die Numerologie und andere Weltverschwörungstheorien spielen eine gewisse Rolle in Steinfests neuem Roman, der nicht nur ein Krimi ist, sondern noch viel mehr. Und so mancher Zahlencode funktioniert alsbald als "Sesam, öffne dich", wenn man vor dem Gemälde steht, dessen Inhalt der Geliebten unwahrscheinlich ähnlich ist. Mit ein bisschen Magie muss man sich halt schon auskennen, wenn man die Unordnung verstehen und den Sinn einer Komposition erkennen möchte. "Man muss das Chaos in sich tragen, um einen tanzenden Stern gebären zu können", heißt es nicht umsonst bei Nietzsche. Aber der wusste wohl noch nichts von Pluto.


von Juergen Weber - 02. April 2010
Gewitter über Pluto
Heinrich Steinfest
Gewitter über Pluto

Piper 2009
400 Seiten, gebunden
EAN 978-3492053105