Ich und Hitler
"Fotografie und Zeitgeschichte gehören seit dem 19. Jahrhundert zusammen wie Zwillinge. Unser visuelles Wissen über Geschichte wurde mit der Fotografie gegenüber den Epochen der Illustration durch Holzschnitt oder Kupferstich zweifellos vertieft.
Wahr ist, dass sowohl Illustrator wie Fotograf den Blickwinkel bestimmen, der in gewissen Grenzen ihre innere Haltung gegenüber dem Sujet zum Ausdruck bringt. Doch während der Illustrator rigoros seiner Auffassung Geltung verschaffen kann, gelingt es dem Fotografen im bewegten Zeitgeschehen - und es ist hier nicht vom Atelier- oder Studio-Fotografen die Rede - kaum jemals, alles beiseite zu lassen, was seinen Intentionen entgegensteht. So können Randerscheinungen auf einer zeitgeschichtlichen Fotografie manchmal mehr als das zentrale Motiv des Bildes" schreibt Joe J. Heydecker zutreffend im Vorwort, auch wenn nicht so recht zu erkennen ist, weshalb er dies im Zusammenhang mit diesem Buch an den Anfang stellt (und ihm damit eine zentrale Bedeutung zuzumessen scheint), denn viele (wenn nicht die meisten) Aufnahmen, die Heinrich Hoffmann von Hitler gemacht hat, entstanden im Studio.
Heinrich Hoffmann war ein Geschäftsmann, seine Firma hatte im Jahre 1943 "300 Mitarbeiter in München, Berlin und Wien, sowie Zweigstellen in allen angeschlossenen und okkupierten Ländern. Durch die Aufkäufe oder "Übernahmen’ arisierter jüdischer Bildagenturen konnte das Unternehmen extrem schnell wachsen und sich vor Ort etablieren … Am Ende des Krieges war er Multimillionär. Das sein Archiv 2,5 Millionen Bilder umfasste, eine Zahl, die er selbst beziehungsweise sein Tochter kolportierte, ist nicht belegt, aber … nicht unwahrscheinlich."
Das Buch ist reich an interessanten und aufschlussreichen Anekdoten aus seinem aussergewöhnlichen Fotografenalltag. So machte Hoffmann zum Beispiel Aufnahmen des Königs von Siam, Chulalongkorn. "Er liess von sich Bilder in Lebensgrösse anfertigen, die "künstlerisch’ koloriert werden mussten. In Zinnkästen verpackt, wurden die riesigen Fotografien dann nach Siam geschickt, und Seine Majestät bezahlte ohne Wimpernzucken die Rechnung über 27.000 Goldmark." Als ein Besuch von Kaiser Wilhelm angekündigt wurde, baute Hoffmann seine Kamera auf ein Stativ und "stellte sorgfältig auf einen Punkt ein, der der Herrscher beim Verlassen des Hauses unbedingt passieren musste. Alles klappte vorzüglich. Beim Entwickeln der Aufnahme stellte sich aber leider heraus, dass ich nicht den Kaiser auf der Platte hatte, sondern lauter Zylinderhüte. Zylinder, die eine begeisterte Menge vor meinem Objektiv in der Luft geschwenkt hatte." Man erfährt auch, dass es 1914 nur gerade sieben zugelassenen Kriegsfotografen gab. "Die Zulassung erfolgte "auf eigene Kosten und Verantwortung’, wie es in der Urkunde hiess. Den "wirklichen Krieg’ durften wir allerdings nicht fotografieren. Die Bewilligung erstreckte sich nur auf die Etappe, und wir nannten diese Bilder "Brotzeitaufnahmen’, weil sie meistens Soldaten bei der Mahlzeit, in Ruhestellung oder beim Kartensiel zeigten. Sehr beliebt waren auch die Fotos von einzelnen Soldaten auf freiem Feld, Gewehr bei Fuss, den Blick in die Ferne gerichtet. Unter diese sinnigen Bilder wurde der text gesetzt: "Steh’ ich in finsterer Mitternacht so einsam auf der stillen Wacht …’".
Zwei Jahrzehnte lang war Heinrich Hoffmann Hitlers Leib- und Hoffotograf und hatte eine eigentliche Monopolstellung inne. Dass er da einiges zu erzählen hat, versteht sich, und er tut es auch und das ist informativ und spannend zu lesen - zur Lektüre wird geraten, auch wenn das Verdikt Joe J. Heydeckers im Vorwort durchaus zutrifft: "Er war ein Intimus des Führers gewesen - was er daraus machte, war allerdings weniger ein "Hitler und ich’ als vielmehr ein "Ich und Hitler’".
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