Mit Goethe Venedig entdecken
"Die Einsamkeit, nach der ich oft so sehnsuchtsvoll geseufzt, kann ich nun recht genießen, denn nirgends fühlt man sich einsamer als im Gewimmel, wo man sich allen ganz unbekannt durchdrängt.", schreibt Goethe an einer Stelle seiner "Venezianischen Epigrammen". An manchen Stellen in den engen Gassen der Lagunenstadt stößt man schon mit den Ellbogen an, schreibt er, "wenn man die Hände in die Seite stemmt; es gibt wohl breitere, auch hie und da ein Plätzchen, verhältnismäßig aber kann alles enge genannt werden", aber dann, wenn man aus dem Labyrinth wieder herausfindet, öffnet sich vor einem das Meer oder der Canal Grande oder vielleicht die Piazza San Marco? Beim Bewundern der Pferde der Quadriga auf der Kathedrale, erscheint es Goethe sonderbar, "dass sie in der Nähe schwer, und unten vom Platz leicht wie die Hirsche aussehen".
Wirklichkeit hinter Masken
Im Theater lernt Goethe dann auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt kennen. Hier würden sie sitzen, die Zuschauer und die Schausteller, die beide mitspielen und das Theater mit dem Leben verschmelzen ließen: "Und Abends gehen sie in’s Theater und sehen und hören das Leben ihres Tages, künstlich zusammengestellt, artiger aufgestutzt, mit Märchen durchflochten, durch Masken von der Wirklichkeit abgerückt, durch Sitten genähert. Hierüber freuen sie sich kindisch, schreien wieder, klatschen und lärmen." Als besonders bemerkenswert und durchaus unterhaltsam erscheint Goethe, wenn das Publikum sogar die Toten des Schauspiels beklatscht und vor Begeisterung ruft: "bravi i morti!" Auch bei der Aufführung einer Komödie Goldonis hört Goethe "Gelächter und Gejauchze von Anfang bis zu Ende". Geradezu rührselig beschreibt er dann das einfache Leben der Fischer und ihrer Frauen, die oft am Ufer sitzen und einen Gesang anstimmen, der über das Meer zu ihren Ehemännern getragen wird, worauf diese etwas darauf erwidern. Es klinge wie eine "Klage ohne Trauer".
Zauber selbst im Alltäglichen
Einzig bei Regen beklagt sich der Dichterfürst über den "geflügelten Kater" Venedig, da alle ihren "Kehrig" in die Kanäle werfen und dieser "beizende Kot" dann bei Regen wieder zurückkomme und die Menschen geradezu "besudele". Beim Beobachten der Taschenkrebse zeigt Goethe, dass auch er eine melancholische Seele besaß, so liebevoll und herzig werden sie beschrieben. Den Bucintoro - das Prachtschiff des Dogen - beschreibt Goethe ebenso wie den Markuslöwen oder Veronese und Tizian, später sollte aus diesen Notizen auch Goethes Farbenlehre entstehen, die ebenfalls in einer wunderschönen bibliophilen Ausgabe wie die vorliegende Lektüre beim Insel-Verlag erschienen sind. Das Bezugspapier von "Goethes Venedig" ziert übrigens ein Gemälde von Canaletto namens "The Grand Canal" von 1744, eigentlich "il gran canal".
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